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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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könnte.
    Hier in dieser Einöde, nahe dem Loch Awe, habe ich meine private Abschottung gefunden, erbaut aus der Asche meiner Träume und Wünsche. Die Dörfler erzählen sich die üblichen Schauermärchen über das Manor. Aber die Neugier hat kein eigenes Stimmchen in meinem Kopf, und daher …
    Es ist ein prächtiges Herrenhaus, eher eine Villa. Leider vor meinem Einzug sehr verkommen, versifft mit Flaschen teuerster Spirituosen und das Mobiliar sondert bei der kleinsten Berührung nach Opium stinkende Wölkchen ab. Heruntergerissene Korsagen, halterlose Netzstrümpfe, Federn und dutzende Opiumpfeifen lassen auf ein Bordell schließen. Aber im Dorf erzählen sie von einer tragischen Familie und deren Valet namens Van Sade, der noch wochenlang nach der plötzlichen Abreise der Familie hier die Stellung hielt.
    Wie es schien, hatte sich der Gute allerlei tollen Freunden und pikantem Zeitvertreib hingegeben. Allein das romantische, zwischen leuchtendem Violett und mystischem Blau oszillierende Licht, welches mich bei meinem ersten Besuch empfing, überzeugte mich vom Kauf. Es erweckte eine verträumte Märchenwelt, einsam und kühl. Heute ist es ein spärlich aber liebevoll eingerichtetes Heim für mich. Viele kunstvolle Möbelstücke und beinahe alle Bücher waren noch zu gebrauchen; letztere behütet wie ein Schatz, obwohl es sich um ziemlich groteske Werke des Aberglaubens handelte.
    In einem Trakt nutze ich die eindrucksvolle Bibliothek, sowie einen anderen als großzügigen Wohntrakt für mich. Und – soweit er sich einrichten ließ nach einem scheinbar kontrolliert gelegtem Kleinbrand – einen kleinen Gästetrakt, bestehend aus einem Zimmer.
    Nicht, dass das nötig gewesen wäre für einen Eigenbrötler wie mich. Jedenfalls nicht sofort …
    In diesen Momenten schwelge ich noch in düsteren Gedanken wie diesen, die Sie, bereits gleich zu Beginn meiner Geschichte, die Ehre hatten zu bespitzeln.
    Sie glauben, ich bin nur ein trauriger, von allen alleingelassener, verbitterter Mann?
    Falsch.
    Sie denken, sie müssen nun den morbiden Offenbarungen eines bemitleidenswerten Zynikers ihr Gehör leihen?
    Wieder falsch.
    Denn Sie müssen gar nichts.
    Und traurig bin ich auch nicht. Es ist einfach meine Art, keinen Spaß in nüchternem Zustand zu haben.
    Nun lesen Sie ruhig weiter und lernen die Realität kennen, wie Sie sie erfolgreich schon seit Ihrer Kindheit zusammen mit bösen Träumen fortblinzeln. Andernfalls wüssten Sie bereits seit der ersten Zeile, wovon ich schreibe und hätten wissend nickend sogleich das Buch geschlossen – sofern Sie noch am Leben oder bei Verstand wären.
    Sie denken ich übertreibe? Sie wissen noch nicht, wer ich bin. Und wo Sie leben. Und überhaupt … wie auch immer. Im Grunde ist es mir völlig egal.
    Aber von vorn …
    Es ist jetzt ein Jahr her, dass ich meine Lehre in den hintersten Gassen Edinburghs bei Millers Bestattungsunternehmen so gut wie beendet habe. Der alte Kauz, von dessen winzigem Kopf drei dicke Haare und zwei Segelohren abstehen, die den »Prince of Wales« vor Neid hätten erblassen lassen, unterrichtet mich nun seit zwei Jahren und acht Monaten in der edlen Kunst der Leichenpflege.
    Als einen der ersten Tipps gab er mir auf den Weg: »Und glaube ja nicht dieses dumme Gerücht, das sie euch in der Schule auftischen. Nämlich, dass man die rechte Gesichtshälfte des Toten schminkt, nicht aber die linke. Verstehst du? Die hier.« Er fuchtelte mit seinen gichtigen Fingern im eingefallenen Gesicht herum. »Hier.« Er klatschte sich auf die rechte Wange. Das Wasser in seinen immer nassen Augen schwappte beinahe über.
    »Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen«, entgegnete ich trocken.
    »Du Klugscheißer! Kannst du dir auch denken warum? Ich sag´s dir besser gleich. Weil man meist nur die sehen kann in einem offenen Sarg.«
    Ich verdrehte schnell die Augen. Man hielt mich offensichtlich für einen kompletten Idioten.
    Er stieß mir einen spitzigen Ellbogen in die Rippen. »Das machen nur die Amerikaner, Tölpel. Wir Briten machen unsere Arbeit richtig. Abgesehen davon, was macht man dann wohl mit einem senkrecht aufgebahrten Sarg.«
    Er schimpfte noch eine Weile vor sich hin, sein kleiner Kopf schwenkte umher wie eine Murmel.
    Ich konnte ihm damals kaum zuhören, da mein Blick von den dicken Speichelfäden, die zwischen seinen Lippen gesponnen waren, unangenehm abgelenkt wurde. Erst spät hat er mich essentielle Dinge wie das Waschen und fixieren der Toten selbst
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