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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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machen lassen. Meistens habe ich den Kunden bei der Wahl des Sarges aus unserer kleinen Sammlung oder dem Katalog beraten oder die Wünsche zu Kleidung oder Makeup aufgenommen. Wenige davon waren überraschend morbide. Wie beispielsweise der Dressurreiter, dessen Witwe auf einen kleinen Sattel bestanden hatte, den wir dem Verstorbenen umlegen sollten. Meinen Einwand, dass man den Toten somit auf dem Bauch liegend einbetten müsste, beantwortete sie mir mit einem verzweifelten Blick, der mir allzu deutlich machte, dass ich wohl der Dümmste aller Bestatter sei. Außerdem musste der Sattel so klein sein, dass sich der Sargdeckel noch schließen ließe. Verwirrt nahm ich diesen letzten Wunsch auf, doch sowohl die irre Witwe als auch Miller schienen an dieser Absonderlichkeit keinen Anstoß zu finden.
    Die Instrumente darf ich lediglich zum Reinigen berühren. Arbeiten kann ich damit nur theoretisch. Außerdem ist es mir strengstens und bei Prügelstrafe verboten, ein Serum auch nur anzusehen, welches der alte Kauz an einigen Abenden wie ein kleines Tier in den Händen hält und damit im Hinterzimmer verschwindet. Dort ist mir der Zugang natürlich an den Tagen verboten, wenn der alte Herr von »speziellen« Aufträgen labert. Außerdem wohne ich in einem alten Appartement, das ihm neben seiner unverschämt protzigen Villa gehört, von der aus ich allerdings in weniger als drei Minuten in der Leichenhalle bin. Im Gegenzug löhnt er mir das Mindeste und ruft mich regelmäßig nach Feierabend, damit ich für ihn die Aufräumarbeiten mache, die nach meiner Schicht noch anfallen.
    Es ist eine Wohltat, spätabends von unnützen Zerstreuungen wie einer Lektüre oder einem entspannten Bad durch penetrantes Hämmern an der Tür abgehalten zu werden. Kaum verwunderlich, dass ich mir nie ein Telefon angeschafft habe und die meisten Abende im ›Poison Apple‹ verbringe, meinem Lieblingspub im heruntergekommensten Teil der Stadt - meinem.
    An diesem Abend ertränke ich meine Wut über Mr. Miller im zwölften Pint, das ich mir nicht leisten kann. Bereits seit zwei Monaten enthält mir der Alte meinen Lohn vor. Damit meine ich die Kohle, die ich über die üblichen Zahlungen an Wasser und dem bisschen Strom bekomme.
    Leider habe ich mich bei ihm darüber einmal beschwert. Seitdem bringt er mir meist die alten belegten Brote aus der Bäckerei mit, die es kurz vor Ladenschluss zum halben Preis gibt. Sie sind so ekelhaft, dass ich ihre lapprigen Überreste meist in die Entsorgung fallen lasse, wenn er nicht hinsieht. Doch heute Abend ist das Maß voll. Niemand hat es verdient in einer Absteige hausen zu müssen und klebrige Brötchen mit ranzigem Schinken zu essen.
    Ich bin nicht feige, aber auch ich habe meine Grenzen. Und abhauen kommt für mich nicht infrage. Mit was zur Hölle sollte ich das bezahlen? Ich bin ein großer Mann mit einem breiten Kreuz, aber nicht besonders diszipliniert, was meinen Körper angeht. Mehrmals habe ich es auf einem der illegalen Boxkämpfe versucht und nie mehr als schmerzhafte Verletzungen mit nach Hause gebracht. Ganz zu schweigen von ein wenig Blutgeld.
    Selbst bei reichen Damen als Affäre zu landen, bringt mir kein Glück. Eher früher als später wollen sie sich für ihren in dich investierten Aufwand entlohnen lassen. Und Geld haben sie genug. Was ihnen fehlt, ist körperliche Zuneigung – die ich nicht geben kann. Kann ich kaum bei einer jungen Schönheit. Somit endet es immer in einem Desaster, wenn ihre gehörnten Ehemänner zum Zweck der brutal züchtigenden Rache plötzlich wieder aktuell sind. Ich mag Berührungen nun einmal nicht, nur bei den Toten macht es mir nichts aus. Ich habe aufgegeben herauszufinden, was bei mir nicht stimmt. Es ist unerheblich geworden.
    Langsam erhebe ich mich von meinem Tisch und gehe zu den Spielern hinüber die schon den ganzen Abend zocken. Ich habe die klare Absicht, mich zu ihnen zu gesellen. Eher als sinnbildlichen denn als materiellen Einsatz habe ich Mr. Millers Hausschlüssel in der Tasche. Der Alkohol macht mich etwas blind und unsicher, aber so betäube ich den größten Schmerz, der nachher zweifellos auf mich zukommt.
    Wenn schon abtreten, dann mit heldenhaft erhobenem Kopf? Wer verzapft denn solche abstrusen Philosophien? Mit knappem Nicken lasse ich mich auf dem letzten Stuhl nieder, der beträchtlich knarzt unter meinem Gewicht. Sie beäugen mich heute misstrauisch. Fast, als ahnten sie, wozu ich an diesem Abend hierhergekommen bin.
    Wortlos lege
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