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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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ich den Schlüsselbund auf das Holz. Dass auch der Schlüssel von Millers Bestattungsunternehmen daran hängt, ist mir bewusst, aber herzlich egal. Vielleicht ist es interessant zu erwähnen, dass ich ein miserabler Spieler bin. Schlimmer noch, die Gentlemen an meinem Tisch sind Zocker der gerissensten Sorte. Aber zu gewinnen gehört auch nicht zu meinem Plan heute Nacht.
    Mein Einsatz ist angenommen worden, wenn auch mit mitleidigen Blickwechseln und spöttischem Naserümpfen. Spätestens in einer halben Stunde ist die Show für mich vorbei und ich gebe mich dem hin, was unweigerlich danach kommt. Warum ich mich nicht einfach ersteche, ersäufe, erschieße oder erhänge? Aus den einfachen Gründen, da ich panische Angst vor scharfen Klingen auf meiner Haut beziehungsweise in meinem Fleisch habe, ein zu guter Schwimmer bin, mir keine Pistole leisten kann und Letzteres bereits die letzten beiden Male durch morsches Gebälk vereitelt worden ist.
    Die Karten liegen vor mir auf ihren höfischen Gesichtern. Ich hebe sie an, luge darunter. Wie erwartet keine echten Gewinner. Sie passen sich eben ihrem Spieler an. Halbherzig zocke ich ein wenig und stoße bald an mein Limit. Eine der tätowierten Kaugummiknetmaschinen stiert mich unentwegt an und ich hoffe, dass er weder ekelhafte Absichten hegt, noch mein laienhaftes Spiel mit dem Tod durchschaut hat.
    »Hey, du!«, brummt er mir zu. »Ich merke ja, dass du nix zu verlieren hast, Anzug. Aber gib dir jetzt mal ’nen Ruck und versuch wenigstens zu spielen.«
    Ich sehe ihn an, schweige, und setze einen miesen Zwilling. Herausfordernd halte ich seinem bohrenden Blick stand. Der Kaugummi hat an Reiz verloren und auch meine Mitspieler fesseln mich geradezu mit ihren eisigen Blicken. Ich nutze die Chance der Überraschung für Teil Drei meines Plans. Ich springe auf, packe den Schlüssel und das bisschen Bares, was danebenliegt, und unternehme einen halbherzigen Fluchtversuch.
    Wie erwartet habe ich ein Wespennest mit bloßen Händen geschüttelt und durchgerührt. Die Wilden folgen mir wutschnaubend und der erste Schlag trifft mich ins Kreuz. Ich gehe sofort zu Boden; zwecklos, sich zu wehren. Dann hätte ich auch gleich ernsthaft flüchten können. Sie brüllen nicht lange. Mein süffisantes Lächeln macht sie rasend und ich bekomme kaum mit, was die nächsten Minuten geschieht. Ein harter Schlag in die Nieren, ein gezielter Hieb auf den Kehlkopf, organisierte Schläge. Für mich nicht weiter beängstigend. Ich hätte echt weniger Glück haben können. Dilettanten würden ewig brauchen, um tödliche Hiebe zu landen.
    Dieser Pub ist die Hochburg des Voyeurismus. Niemand hilft im ›Poison Apple‹, und das ist ganz gut so. Einer der Gründe, warum ich hierherkomme. Man ist so viel wert wie der Staub unter den verklebten Stuhlbeinen.
    Dank dem Alkohol merke ich kaum was von brechenden Rippen, knackenden Knorpeln und dem Reißen malträtierter Muskeln. Und schon ist es vorbei. Zum Glück ist die Welt ein einziger Scherbenhaufen aus Egoismus und Gewalt geworden. Oder war sie das schon immer, nur heute lebt man es offener aus? Die Zeit der Gentlemen ist vorbei. Und so kann ich endlich, endlich gehen.
    Unangenehm pocht etwas in meinem Kopf. Meine Augen sind zugeschwollen, ich sehe nur dunkelgrüne Schatten durch meine Lider hindurchwabern.
    Das Bild wird klarer, ein indirektes Licht zeigt mir die Ahnung eines verwilderten Waldes. Faulige Farne hängen bis zu den wogenden Gräsern hinab und einen kurzen Moment glaube ich, ich bin in einer Unterwasserwelt. Unsicher schüttle ich den Kopf, vertreibe diesen blödsinnigen Gedanken. Immerhin kann ich atmen. Jedoch, mein Haar fühlt sich beunruhigend leicht an – ich bin mir aber unsicher, da es recht kurz ist. Mein Hemd wirbelt um meinen Körper, die Hosenbeine schlagen mir an die Waden und schmerzhaft peitscht mir das lange Ende der Krawatte hart auf Hals und Wangen.
    Ich betaste meine Augen, zucke jedoch sofort zurück, als ich geschwollenes, nässendes, sehr empfindliches Fleisch fühle. Als ich einen Schritt machen will, falle ich nach vorn und fange mich mit den Armen gerade noch in einer sandigen Masse ab. Ich taste nach meinen Beinen und merke, dass eines davon tief in diesem schlammigen Tümpel steckt und sich das andere knöcheltief festgesetzt hat. Ich versuche die Arme aus der Brühe zu ziehen, doch sie lassen sich nicht bewegen. Für Panik bin ich zu emotionslos und Geduld ist eine der wenigen Tugenden, die ich habe. Deshalb
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