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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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nehme ich mir den größten Druck von der Brust. Eigentlich sieht mein Körper ganz nett aus, wenn man auf Yves Klein und seine monochromen Bildkompositionen steht, in die man in unnützer Wut ein bisschen Expressionismus gekleckst hat. Hektisch taste ich mich ab. Unter einer Schwellung ertaste ich den kleinen Piercing-Ring mit der Gargoylefratze am einen Ende. Ich zucke zusammen, als sich der Ring langsam drehen lässt, und beträufle ihn mit 3 prozentiger Wasserstoff-Peroxyd-Lösung.
    Der ziehende Schmerz am schmalen Rand der Übelkeit holt mich endgültig in die Wirklichkeit zurück. Wankend setzte ich mich auf den Badewannenrand und betrachte mich im Spiegel. Ein Looser mit Engelsgesicht sieht mich an. Ein etwas zerschundenes Engelsgesicht, das so jedoch deutlich besser zu meinem Charakter passt. Fehlerhaft, makelbehaftet.
    Ich stehe entschlossen auf. Ist schließlich deutlich vorteilhafter, als ein edelmütiger Geist im Körper eines Krüppels (Ja, mir ist bewusst, wie politisch inkorrekt das Wort »Krüppel« ist, aber ich finde, man muss die Dinge beim Namen nennen. Die Welt ist keine Lollyfabrik.)
    Lächelnd packe ich eilig den Großteil meiner Kleidung in einen Koffer. Die beiden Utensilienkoffer aus Millers Vermächtnis stelle ich griffbereit daneben. Wenige Stunden Schlaf kann ich mir noch gönnen, dann muss ich für den Aufbruch bereit sein.
    Dass ich nicht bleiben kann, liegt auf der Hand. Eine Bande streitsüchtiger Psychopaten, die nicht verlieren können, und ein toter Chef erwecken in mir nur einen einzelnen Gedanken: den an feige und eilige Flucht. Weit weg, möglichst weit, so weit es nur geht. Aber keinesfalls raus aus Schottland. Ich bin schließlich stolz auf meine Nationalität. Allerdings bin ich kein Patriot und sterbe ohnehin ungern für etwas anderes, als auf meinen eigenen Wunsch.
    Früh am Morgen suche ich die Quelle allen unnützen und pseudogefährlichen Wissens auf, meinen Club. Der liegt in den nicht ganz so zwielichtigen Ecken, allerdings auch nicht annähernd › Up‹ . Er ist der billigste der Stadt. Hier treffen Sie eher auf Möchtegernchefs, Möchtegernabteilungsleiter und Möchtegernstatushengste. Kurzum, eine Nische, in der man sein kann, wer man will, ungeachtet der äußeren Umstände oder Meinungen.
    Ich nicke den bereits anwesenden Mitgliedern zu. Einige sehen mich bewundernd an, weil ich aus scheinbarer Coolness meine randlose Sonnenbrille drinnen aufbehalte. Mein Tisch ist leer, ich sinke in die weichen Polster und bestelle mir einen Tee bei Lilian, mit der Bitte, sich nicht wieder ewig Zeit zu lassen. Nebenbei fällt mein Blick auf den heutigen ›Echo‹. Mit spitzen Fingern hebe ich die obersten Blätter ab. Da steht, gegenüber einer grotesk großen Todes- anzeige eines irischen Chefbürohengstes, im Immobilienteil:

    Zu verkaufen: »Amaranth Manor«
    Viktorianisches Anwesen, abgelegen, in den Heights nahe Taynuilt/Loch Awe.
    Renovierungsbedürftiger Zustand, großer Garten, Terrasse, Dachterrasse und Balkon.
    Teilmöbiliert. Hausgeister incl.
    Kontakt: 1366/6; verdammt fairer VK garantiert!
    Normalerweise verabscheue ich Witzbolde jeglicher Art von Humor, sofern es nicht meiner ist. Hier jedoch bin ich gern bereit, eine Ausnahme zu machen. Das andere Ende meines Reviers bezirzt mich mit seinem bestechenden Angebot. Genug Platz für mich, mein eigenes Unternehmen und viel wohlige Einsamkeit.
    Ich reiße die Annonce heraus und leere im Aufstehen meinen Tee. Es ist Zeit, sich zu verkriechen und neu anzufangen. Wieder einmal. Es sollte nur nicht zur Gewohnheit werden.
    Als ich mich erhebe und Lilian an der Bar einen verknitterten Schein zustecke, steuert mein ganz persönlicher Freund, Patrick Grath, auf mich zu. Er schüttelt mir wie immer übertrieben geschäftig die Hand. Seinen gockelhaften Gang rundet er mit einer so geraden Körperhaltung gekonnt ab, die nicht den leisesten Zweifel daran lässt, wie verkümmert sein Ego in Wirklichkeit ist. Er ist der Sohn eines Juweliers hier in der Stadt. Der dritte Sohn des alten Goldschmiedes Grath, der in London keine Geschäftsstelle halten konnte. Nun, nicht jede Werbung ist eben Werbung. Und wer sich mit den Zeitungen nicht anfreundet, liest eben ausschließlich von seinen verhunzten Präsentationen, zu denen, außer ein paar ärmlicher Häppchenvernichter, niemand erschienen ist. Hier ist die Firma in Ermangelung anständiger Alternativen leidlich erfolgreich. In ihren eigenen Köpfen weitaus mehr als in der realen
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