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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Bestattungsunternehmen.
    Die Läden sind verschlossen, so wie ich sie nach dem Putzen zurückgelassen habe. Ich taumle um die Ecke und entdecke ein kleines Loch in einem der Kellerfenster. Vorsichtig greife ich hindurch und öffne den Riegel im Inneren. Seltsam, dass man ihn wieder vorgeschoben hat. Der Schlüsselbund ist sicher in der flusenverseuchten Versenkung einer abgewetzten Jacke meiner Pokerfreunde verschwunden. Da ich nicht gerade von elfenhafter Statur bin, zwänge ich mich unter heftigem Ächzen und fragwürdigen Verrenkungen hinein. Elegant, wie ich es nun einmal leider nicht bin, plumpse ich auf den harten Betonboden. Meine Beine geben nach und ich schlage mir schmerzhaft die Knie an. Wütend würge ich ein paar Flüche hervor und hoffe, dass man mich nicht zu dem Narren gehalten hat, der ich bin, und dass Miller, der alte Folterknecht, wirklich mausetot in seinem Labor liegt.
    Da er nahezu nie in seine Villa im ›Exchange‹ , dem feudalsten Viertel der Stadt, geht, sondern die kleine Zelle im Obergeschoss für sich als privaten Raum nutzt, stehen meine Chancen gut, ihn dort zu entdecken. Falls noch etwas von ihm übrig ist , lächle ich grimmig in mich hinein. Man soll vorsichtig mit seinen Wünschen sein, heißt es.
    Miller liegt nicht in seinem Kämmerchen, sondern unter dem Waschtisch. Und er ist definitiv tot. Nach dem aberwitzigen Grad der Wirbelsäule ist es offensichtlich zu spät für ihn. Auch die, zwar mit dem bloßen Auge scheinbar undefinierbare, jedoch unschwer mit gesundem Menschenverstand zu erkennende Masse neben seinem Kopf sagt mir, dass man dem Alten den Schädel eingeschlagen hat. Entweder vor oder nachdem man ein wenig Spaß mit seinen morschen Knochen gehabt hat. Unnötig, nach einem Lebenszeichen zu suchen.
    Irgendwie kann ich keine Trauer spüren. Nur erneute Wut und Hass auf diesen geizigen Alten. Und Erleichterung. Ich atme die in mir angestauten Gefühle erlöst aus. Böser Fehler. Eine gebrochene Rippe bohrt sich boshaft in meine Eingeweide und ich schreie laut auf. Wenigstens funktionieren meine Stimmbänder wieder.
    Mechanisch gehe ich rückwärts zum Safe. Der Korpus ist stark malträtiert worden, das Metall rund um das Zahlenschloss verkratzt und abgeschabt. Ich probiere einige Möglichkeiten. Beim Sterbedatum seines räudigen Köters, einem seit jeher präparierten Ungeheuer von einem irischen Hirtenhund, klickt es und ich kann mich kaum halten beim Anblick der gebündelten Stapel Geldnoten. Die Phiolen mit den teuren Einbalsamierungselixieren und die Flacons mit edlen Parfümen stecke ich ebenfalls ein. Auch ein Fläschchen, in dem Reste einer dunklen Flüssigkeit schwenken. Vorsichtig löse ich den kleinen Korken und erschnüffle unter diversen bitteren Gerüchen das zarte Aroma von Portwein. Was auch immer es ist, es gehört nun mir.
    »Dafür, dass du sie mich nie hast benutzen lassen«, knurre ich kindisch. Dann packe ich alles an Werkzeugen und Instrumenten in die beiden ledernen Koffer und verschwinde, ohne mich noch einmal umzudrehen oder mich zu fragen, wer vor mir hier war.
    Ich lasse mich von heißem Wasserdampf einlullen. Er schützt mich, wenn auch nur imaginär, vor der Welt dort draußen jenseits meiner Tür. Erleichterung und Trauer liefern sich ein Wechselspiel in meinem Innersten. Sicher, ich hätte den alten Miller mit einem gezielten Faustschlag niederstrecken können. Doch so hat jemand anderes die Drecksarbeit für mich gemacht und mich so von der Kette des Jochs gelassen. Hinaus in die Welt. Entfesselt um etwas Neues zu beginnen. Etwas, das ich noch nie ausprobiert habe: Leben.
    Ich betrachte mich lange im Spiegel. Die Schwellungen an den Augen sehen furchtbar aus, obwohl eines davon als beinahe normal durchgehen könnte. Etwas zu türkis, sicher (und Tränensäcke hatte ich auch nie gehabt), aber es würde gehen.
    Nachdem ich alles Blut abgewaschen habe und mein Gesicht darunter zum Vorschein gekommen ist, begutachte ich den Schaden. Die Nase ist wundersamer Weise noch so gerade wie zuvor, meine Lippen, bis auf einen tiefen Schnitt quer über den rechten Mundwinkel, intakt. Ein Wangenknochen zeigt Abschürfungen von scharfkantigem Schmuck, Fingernägeln oder Schlagringen, ansonsten macht mir mein Hals etwas Sorgen. Doch da ich ohnehin meist zugeknöpfte Hemden und Krawatte trage, sollte auch das kein Problem sein. Die Blessuren an meinem Oberkörper hingegen, nun ja. Beim Atmen habe ich noch immer ziemliche Schmerzen. Mit einem Stützverband
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