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Kommissar Steen 01 - Unruhe

Kommissar Steen 01 - Unruhe

Titel: Kommissar Steen 01 - Unruhe
Autoren: Jesper Stein
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FREITAG, 2. MÄRZ 2007
1
    Der Sex war wunderbar. Besser als jemals zuvor, explosiv, wolllüstig, losgelöst von Zeit und Raum. Zum dritten Mal in dieser Nacht liebte er seine Exfrau. Er sah in ihre weit aufgerissenen Augen mit den sonderbar gelben Sprenkeln in den schwarzbraunen Pupillen, die glühten vor Verlangen und Lust. Lust auf ihn. Sie saß auf ihm, ritt ihn, die runden Brüste direkt über seinen Lippen.
    Es gab den Himmel.
    Und die Hölle.
    Stellte er fest, als der Klingelton den Traum zertrümmerte. Er fühlte sich an wie eine Ohrfeige. Mit sich brachte er die Erkenntnis, dass er in seinem Bett lag, auf einem kalten Laken, allein.
    Er rollte auf die Seite und tastete nach dem Handy auf dem Boden. Sah auf das Display, unbekannte Nummer. Dann drückte er die Taste mit dem grünen Hörer.

    »Axel Steen.«
    »Antonsen vom Präsidium. Ich hab’ einen Mord für dich.«
    »Ja?«
    »Ein Mann. Nicht identifiziert. Unsere eigenen Leute haben ihn gefunden, am Nørrebro-Friedhof, an die Mauer gelehnt – nur hundert Meter vom Jugendzentrum entfernt.«
    Der Friedhof. Grüne Lunge in einer Wüste aus Stein. Ruheort. Zufluchtsort. Tatort.
    Axel sah kurz auf die vier kleinen schwarzen Ziffern auf dem lumineszierenden Hintergrund seines Handys, getrennt durch zwei Punkte: 03:30. Die Nacht auf Freitag. Er war im Dienst, hatte Bereitschaft im Morddezernat.
    Immerhin hatte ihm der Joint geholfen, wenigstens eineinhalb Stunden zu schlafen. Er war auf der breiten Fensterbank des Erkerfensters eingenickt, hoch über der Nørrebrogade, über den blauen Blinklichtern und dem Feuerschein, der über die Wand glitt, über dem Dröhnen der Sirenen, ganz nah und weit entfernt, dem zornigen Hupen der Löschfahrzeuge und der Krankenwagen und dem elektronischen Schreien der Streifenwagen.
    Den Abend hatte er mit der Fernbedienung in der Hand verbracht, hin und her gezappt zwischen News und DR , nur unterbrochen von Ausflügen zum Fenster, von wo aus er freie Sicht auf die eineinhalb Kilometer lange Nørrebrogade hatte.
    Alles stand in Flammen.
    Vor weniger als vierundzwanzig Stunden hatte die Polizei das Jugendzentrum gestürmt und das ganze Viertel abgeriegelt. Unter Leitung des Geheimdienstes PET hatte sich ein Sondereinsatzkommando um Punkt sieben Uhr morgens von einem Helikopter abgeseilt, die Maschinenpistolen im Anschlag. Das Gebäude war in Löschschaum gehüllt worden, vermischt mit Tränengas, die Hintertür mit einem Rammbock aufgesprengt. Für dänische Verhältnisse hatten Polizei und SEK maximale Schlagkraft eingesetzt. Fassungslos hatte Axel zugesehen, wie sich die Unruhen im Laufe des Vormittags ausgebreitet hatten. Natürlich warendie jungen Leute und ihre Sympathisanten überrascht worden, doch innerhalb weniger Stunden war es ihnen gelungen, eine beeindruckende Menge verzweifelter und wütender Menschen zusammenzutrommeln. Sie schlugen an verschiedenen Punkten gleichzeitig zurück, und die Unruhen entwickelten eine unkontrollierbare und zerstörerische Kraft. Nørrebro verwandelte sich in eine Kriegszone, mit brennenden Autos und provisorischen Straßensperren aus Sperrmüll und Müllcontainern, aus denen meterhohe Flammen schlugen, mit eingeschlagenen Scheiben und geplünderten Läden. Seine Stadt in der Stadt. Und die achtzigtausend anderer Kopenhagener. Gegen Mitternacht hatte er am Fenster gestanden und erschüttert auf Kopenhagen gestarrt. Der Himmel war hinter einem Vorhang aus dichtem Rauch verschwunden, gespeist von den vielen Bränden, eine giftige Gewitterwolke über glühenden Dächern. Er hatte die Gruppen von Randalierern gesehen, die durch die Straßen unter ihm streiften. Ein paar von ihnen waren Autonome oder Stammgäste des Jugendzentrums, die meisten waren Mitläufer.
    Und jetzt kam das Wochenende. Viel zu viele Leute hatten frei, mussten am nächsten Tag nicht früh raus. Das würde die Lage noch verschlimmern.
    »Hallo, bist du noch da?«
    »Ja, wo genau auf dem Friedhof?«
    »Letzter Eingang von der Nørrebrogade aus, wenn du aus Richtung Innenstadt kommst. Weißt du, wo das ist?«
    »Ich wohne keine dreihundert Meter entfernt.«
    »Dachte mir’s doch. Manche können einfach nicht genug kriegen.«
    Axel ignorierte die Bemerkung. Nørrebro war nicht gerade erste Wahl, was Wohnlage und -qualität anging, und schon gar nicht unter Polizisten. In den letzten Jahrzehnten hatte sich der Stadtteil einen Ruf als Schlachtfeld für Straßenkämpfe zwischen Polizei und Hausbesetzern, Einwanderern der zweiten
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