Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi

Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Eva Rossmann
Vom Netzwerk:
1.
    Grete sah verstohlen auf die Uhr. Zwei Minuten nach halb acht. Sie zog eine Packung Frischmilch, zwei Becher Erdbeerjoghurt, einen Tube Senf, eine Schale mit Hühnerkeulen über das Glasfeld der Scanner-Kasse.
    Die anderen elf Kassen waren schon geschlossen. Warum immer sie am Ende übrig blieb? Ihr Rücken tat weh. Wechselgeld. Auf Wiedersehen.
    Nach diesem Kunden würde sie das große, gläserne Eingangsportal abschließen müssen. An sich war das Sache des Filialleiters, aber der hatte ihr wie so oft den Schlüssel anvertraut und dabei getan, als handle es sich um eine Auszeichnung. Die Hintergrundmusik hatte Grete wie jeden Tag erst im Nachhinein wahrgenommen, dann, als die Berieselung pünktlich zu Geschäftsschluss aufgehört hatte. Die Lichter, die keine andere Funktion hatten, als zum Kauf zu animieren, gingen aus. Die Regale mit den Süßwaren, denen Grete vis-a-vis saß, lagen nun im Halbdunkel. Ihre Kolleginnen rechneten bereits die Einnahmen der Schicht ab. Irgendwo, ganz oben bei der Frischfleischabteilung, wurde gerade die große Nassreinigungsmaschine abgeschaltet. Ob Hans zu Hause sein würde?
    Sie seufzte, als noch ein Kunde auftauchte. Sie hörte zuerst gar nicht hin, sondern grüßte nur freundlich, so, wie sie es gelernt hatte. Es lag bloß ein Ultrakauf-Plastiksack auf dem Förderband, dahinter stand eine Flasche Bier. Der Mann räusperte sich. »Hören Sie nicht? Das Bier ist mir egal, ich will Ihr Geld. Und zwar schnell.«
    Sie sah ihm ins Gesicht, noch ohne Angst, einfach ungläubig. Er hatte den Rollkragen bis zu den Augen hochgezogen. Helle, wässrige Augen. Jung. Er sah sich gehetzt um und drückte ihr eine Pistole an den Hals.
    »Schwarz«, ging es ihr durch den Kopf, »ich dachte, sie seien silbern.« Dann war noch die Angst da und sonst nichts. Nichts von dem, was sie gelernt hatte, falls sie in eine Situation wie diese geraten sollte. Nichts von dem, was Kolleginnen im Pausengespräch für die beste Reaktionsmöglichkeit gehalten hatten – rein theoretisch. Schweiß brach ihr aus. Sie starrte ihn an.
    »Geben Sie mir Geld, und ich geh. Schnell. Wenn wer kommt, sind Sie tot.«
    Grete drückte die Knöpfe, mit einem Schnapper sprang die Kasse auf. Er presste die Pistole fester an ihren Hals und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Plastiksack. Sie hatte zu viel Spucke im Mund, konnte nicht schlucken. Sie schaufelte das Geld hinein. Fünfhunderter, Hunderter, Fünfziger, so schnell, als würde sie selbst es stehlen wollen. Zwanziger, Zehner.
    »Her damit«, befahl er. Sie reichte den Sack hinüber. Fast wirkte er leer. »Papiergeld hat wenig Gewicht«, dachte sie.
    »Hast du verstanden?«, herrschte er sie an.
    Sie sah erschrocken auf.
    »Blöde Nuss. Du sagst zehn Minuten kein Wort. Ich finde dich.«
    Er rannte nach draußen. Die Bierflasche stand immer noch auf dem Förderband. Gutes Bier, die Lieblingsmarke ihres Vaters. Jetzt erst schluckte Grete und wollte schreien. Aber daraus wurde nichts als ein gedämpftes Schluchzen. Sie hatte das Gefühl, wieder einmal alles falsch gemacht zu haben. Und sie hatte Angst, der Mann im braunen Rollkragenpullover würde wiederkommen.
    Schritte. Sie duckte sich.
    Es war die rote Karin. »Was ist? Bist du eingeschlafen?«
    Grete schüttelte den Kopf.
    »Was ist los? Ist dir schlecht?«
    »Überfall«, krächzte Grete. Sie begann zu weinen.
    Die rote Karin bombardierte sie mit Fragen. Wann, wer, wie viel? Doch Grete schüttelte nur weiter den Kopf und weinte.
    »Ich hol den Feinfurter«, sagte die rote Karin und verschwand.
    Für Grete schienen Stunden zu vergehen. Endlich kamen die rote Karin, Filialleiter Feinfurter und drei Kassiererinnen.
    Karin nahm ein Fläschchen Weinbrand vom Kassenregal, schraubte es auf und befahl: »Trink!«
    Grete trank. Noch immer saß sie hinter ihrer Kasse. Langsam konnte sie erzählen.
    »Wir müssen wissen, wie viel fehlt«, sagte Feinfurter.
    Die Chefkassiererin bat Grete, ihr Platz zu machen. Grete nickte, stand auf und taumelte. Die rote Karin fing sie auf und hielt sie am Arm fest. »Schweinerei«, knurrte Karin in Richtung Filialleiter, »wir müssen die Polizei verständigen.«
    »Ich muss Heller verständigen. Und man muss wissen, was fehlt. Der ist über alle Berge, der Räuber. Wann ist das gewesen? Wann?« Wenn Feinfurter erregt war, neigte er dazu, Worte zu wiederholen. Anders als sonst, grinste heute aber niemand darüber.
    »Kurz nach halb acht.«
    »Das ist mehr als eine Viertelstunde her. Sinnlos.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher