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Julia

Julia

Titel: Julia
Autoren: Anne Fortier
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eine Prinzessin alleine tun muss. Erinnerst du dich an das, was ich dir gesagt habe ... dass du eines Tages dein Königreich finden wirst?«
    »Das war doch nur eine Geschichte. Das Leben ist nicht so.«
    »Alles, was wir sagen, ist eine Geschichte. Aber nichts davon ist nur eine Geschichte.«
    Da ich noch immer nicht bereit war, ihn gehen zu lassen, schlang ich fest die Arme um ihn. »Und du? Du willst doch wohl nicht hierbleiben, oder?«
    Umberto blickte zu den tröpfelnden Brettern hinauf. »Ich glaube, Janice hat recht. Für den alten Birdie wird es Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. Ich sollte mit dem Silber nach Vegas durchbrennen. Bei meinem Glück dürfte ich damit gerade mal eine Woche auskommen. Vergiss also nicht mich anzurufen, wenn du deinen Schatz gefunden hast.«
    Ich legte den Kopf an seine Schulter. »Du wirst der Erste sein, der es erfährt.«
     

I.II
    Zieh nur gleich vom Leder:
    Da kommen zwei aus dem Hause der Montagues
     
    Seit ich denken konnte, hatte Tante Rose alles in ihrer Macht Stehende getan, um Janice und mich von einer Italienreise abzuhalten. »Wie oft muss ich euch noch sagen«, schnaubte sie immer, »dass das kein Ort für brave Mädchen ist?«
    Später, als sie begriff, dass sie ihre Taktik ändern musste, schüttelte sie nur noch den Kopf, wenn jemand das Thema anschnitt, und fasste sich ans Herz, als würde allein schon der Gedanke daran sie dem Tode nahe bringen. »Glaubt mir«, sagte sie dann jedes Mal mit matter Stimme, »Italien ist eine einzige große Enttäuschung, und die italienischen Männer sind Schweine!«
    Mich hatten ihre unerklärlichen Vorurteile gegenüber dem Land, in dem ich geboren war, immer geärgert, doch nach meiner Erfahrung in Rom gelangte ich mehr oder weniger zu derselben Meinung: Italien war eine Enttäuschung, und im Vergleich mit den Italienern - zumindest den uniformierten Exemplaren - kam die Gattung Schwein ziemlich gut weg.
    Auf ähnliche Weise fertigte Tante Rose uns jedes Mal, wenn wir sie nach unseren Eltern fragten, mit derselben alten Geschichte ab. »Wie oft muss ich euch noch sagen«, stöhnte sie dann frustriert, weil wir sie mal wieder störten, während sie den Krimskrams auf dem Kaminsims zurechtrückte oder angetan mit ihren kleinen Baumwollhandschuhen, die ihre Haut vor Druckerschwärze bewahrten, die Zeitung las, »dass eure Eltern bei einem Autounfall in der Toskana ums Leben gekommen sind, als ihr beide drei Jahre alt wart?« Zum Glück für Janice und mich - so ging die Geschichte weiter - waren Tante Rose und der arme Onkel Jim, Gott hab ihn selig, in der Lage gewesen, uns sofort nach der Tragödie zu adoptieren. Zusätzlich hatten wir auch noch das Glück, dass sie beide niemals eigene Kinder bekommen konnten. Wir sollten dankbar sein, dass wir nicht in einem italienischen Waisenhaus voller Flöhe gelandet waren und jeden Tag Spaghetti essen mussten. »Seht euch doch mal an!«, beschwor sie uns. Immerhin durften wir als verzogene Gören auf einem schönen Anwesen in Virginia leben. Da war es doch wohl das Mindeste, dass wir im Gegenzug aufhörten, unsere Tante Rose mit Fragen zu quälen, auf die sie keine Antworten hatte. Und vielleicht war eine von uns so lieb, ihr jetzt, da ihre Gelenke wegen unserer Fragerei mal wieder heftig schmerzten, einen weiteren Minz-Cocktail zu machen?
    Während ich nun in dem Flugzeug nach Europa saß, auf den nächtlichen Atlantik hinunterstarrte und mich an vergangene Auseinandersetzungen erinnerte, wurde mir schlagartig bewusst, dass mir alles an Tante Rose fehlte, nicht nur ihre guten Eigenschaften. Wie gerne hätte ich noch einmal eine Stunde mit ihr verbracht, selbst wenn sie die ganze Stunde lang gezetert hätte. Jetzt, da sie nicht mehr lebte, konnte ich kaum noch nachvollziehen, wie sie mich je hatte auf die Palme bringen können, und ich dachte traurig daran, wie viele kostbare Stunden ich mit verbohrtem Schweigen vergeudet hatte, während ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen hatte.
    Wehmütig wischte ich mir eine Träne von der Wange und sagte mir, dass solch reuevolle Gedanken Zeitverschwendung waren. Ja, ich hätte ihr öfter schreiben sollen, und ja, ich hätte sie öfter anrufen und ihr sagen sollen, dass ich sie lieb hatte, aber dafür war es nun zu spät. Die Sünden der Vergangenheit ließen sich nicht mehr sühnen.
    Zusätzlich zu meinem Kummer plagte mich noch etwas anderes. Düstere Vorahnungen? Nicht notwendigerweise. Düstere Vorahnungen haben mit der Angst zu tun, dass etwas
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