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Julia

Julia

Titel: Julia
Autoren: Anne Fortier
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allzu bewusst war, wie sehr sich alle anderen am Tisch über diesen rätselhaften Gefühlsausbruch wunderten, legte ich die Arme um meine Schwester und dankte ihr für das gelungene Geschenk. Ich weiß nicht, wie viele von den übrigen Gästen die Bedeutung dieses Briefes verstanden hätten. Selbst diejenigen, denen die traurige Geschichte der ursprünglichen Giulietta und Giannozza bekannt war, hätten unmöglich nachvollziehen können, was er meiner Schwester und mir bedeutete.
     
    Die Uhr zeigte schon fast Mitternacht, als ich endlich Gelegenheit hatte, auf Zehenspitzen zurück in den Garten zu schleichen, einen ziemlich unenthusiastischen Alessandro im Schlepptau. Mittlerweile waren alle zu Bett gegangen, und es war an der Zeit, etwas in die Tat umzusetzen, das ich schon eine ganze Weile tun wollte. Während ich das quietschende Tor zum Lorenzo-Heiligtum öffnete, warf ich einen Blick zu meinem grollenden Begleiter hinüber und legte ihm einen Finger an die Lippen. »Wir sollten eigentlich gar nicht hier sein.«
    »Da bin ich ganz deiner Meinung«, antwortete Alessandro und versuchte, mich in seine Arme zu ziehen. »Lass mich dir sagen, wo wir jetzt eigentlich sein sollten ...«
    »Schhh!« Ich legte eine Hand über seinen Mund. »Ich muss das einfach machen.«
    »Warum hat das nicht Zeit bis morgen?«, nuschelte er unter meinen Fingern heraus.
    Ich zog die Hand weg und gab ihm einen schnellen Kuss.
    »Weil ich eigentlich nicht vorhatte, morgen mein Bett zu verlassen.«
    Endlich gab Alessandro sich geschlagen, so dass ich ihn zu der Marmorrotunde hinaufführen konnte, in der die Bronzestatue von Bruder Lorenzo stand. Im Licht des aufgehenden Mondes sah es fast so aus, als würde dort ein lebendiger Mensch mit ausgebreiteten Armen auf uns warten. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit, dass seine Gesichtszüge tatsächlich denen Bruder Lorenzos ähnelten, sehr gering, aber das machte nichts. Wichtig war nur, dass aufmerksame Menschen erkannt hatten, was für ein Opfer dieser Mann gebracht hatte, und es uns ermöglicht hatten, ihn hier zu besuchen und ihm zu danken.
    Ich nahm die Kette ab, die ich wieder trug, seit Alessandro sie mir zurückgegeben hatte, und hängte sie der Statue um. Nun war das Kruzifix endlich dort, wo es hingehörte. »Monna Mina hat es zur Erinnerung an ihn behalten, als Zeichen ihrer Verbundenheit«, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu Alessandro. »Ich brauche es nicht, um mich daran zu erinnern, was er für Romeo und Giulietta getan hat.« Ich hielt einen Moment inne. »Wer weiß, vielleicht gab es nie einen Fluch. Womöglich lag es nur an uns - uns allen -, weil wir das Gefühl hatten, einen zu verdienen.«
    Statt einer Antwort berührte Alessandro meine Wange, wie er es schon an jenem Tag am Fontebranda-Brunnen getan hatte, und diesmal wusste ich genau, was er meinte. Egal, ob wir tatsächlich verflucht gewesen waren oder nicht, und egal, ob wir unsere Schuld getilgt hatten oder nicht, er war mein Segen, so wie ich seiner war, und das reichte aus, um uns vor Schaden zu bewahren, sollte das Schicksal - oder Shakespeare - närrisch genug sein, uns weitere Wurfgeschosse in den Weg zu schleudern.
     
     

Impressum
    Julia
von Anne Fortier (Autor),
Birgit Moosmüller (Übersetzer)
Preis: EUR 19,95
Gebundene Ausgabe: 637 Seiten
Verlag: Krüger, Frankfurt; Auflage: 1 (20. April 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3810506788
ISBN-13: 978-3810506788
Originaltitel: Juliet
     
    ebook Erstellung - Mai 2010 - TUX
     
    Ende
     
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