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Julia

Julia

Titel: Julia
Autoren: Anne Fortier
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die alternde belle gespielt, er den geduldigen Butler -, und trotz ihrer Differenzen hatte keiner von beiden je daran gedacht, ein Leben ohne den anderen zu wagen.
    Der Lincoln parkte diskret drüben neben der Lagerfeuerstelle, und kein Mensch bekam mit, wie Umberto meinen alten Rucksack in den Kofferraum legte, eher er mir mit maßvoller Feierlichkeit die hintere Tür aufhielt.
    »Ich möchte vorne sitzen. Bitte.«
    Unter missbilligendem Kopfschütteln öffnete er mir nun die Beifahrertür. »Ich wusste, dass das alles irgendwann zu Ende gehen würde.«
    Dabei hatte es niemals an Tante Rose gelegen, dass ihr Verhältnis so förmlich blieb. Ja, Umberto war ihr Angestellter, aber sie behandelte ihn stets wie ein Familienmitglied. Was von ihm jedoch nie erwidert wurde. Jedes Mal, wenn Tante Rose vorschlug, Umberto solle sich doch zu uns anderen an den Tisch setzen, bedachte er sie bloß mit einem erstaunten, aber nachsichtigen Blick, als würde er sich immer wieder von neuem darüber wundern, wieso sie ihn ständig dazu aufforderte und seine Einstellung zu diesem Thema einfach nicht begriff. Er nahm alle seine Mahlzeiten in der Küche ein. Das war seit jeher so gewesen und würde auch so bleiben. Nicht einmal der Herrgott -der von Tante Rose mit wachsender Verzweiflung beschworen wurde - konnte ihn dazu bringen, sich zu uns zu setzen, auch wenn es sich um Festtage handelte.
    Tante Rose entschuldigte Umbertos Eigenheit immer als typisch europäisch und blendete dann geschickt zu einem Vortrag über Tyrannei, Freiheit und Unabhängigkeit über, der unweigerlich darin gipfelte, dass sie mit der Gabel auf uns deutete und fauchte: »Und genau aus diesem Grund werden wir in den Ferien nicht nach Europa fliegen. Vor allem nicht nach Italien. Basta!« Ich persönlich war ziemlich sicher, dass Umberto allein schon deswegen lieber in der Küche speiste, weil er seine eigene Gesellschaft dem, was wir zu bieten hatten, bei weitem vorzog. Während er gemütlich in der Küche saß und seine Opernmusik, seinen Wein und sein perfekt herangereiftes Stück Parmesan genoss, zankten wir - Tante Rose, ich und Janice - im zugigen Speisezimmer frierend vor uns hin. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich ebenfalls den ganzen Tag in der Küche verbracht.
    Während wir nun durch das mondhelle Shenandoah Valley fuhren, berichtete mir Umberto von Tante Roses letzten Stunden. Sie war ganz friedlich im Schlaf gestorben, nachdem sie sich einen Abend lang all ihre Lieblingslieder von Dean Martin angehört hatte - eine knisternde Platte nach der anderen. Nachdem der letzte Akkord des letzten Stücks verklungen war, hatte sie sich erhoben und die Verandatür zum Garten geöffnet, vielleicht, weil sie noch einmal den Duft des Geißblatts in sich aufsaugen wollte. Wie Umberto mir erzählte, stand sie dort eine Weile mit geschlossenen Augen, wobei die langen Spitzen vorhänge um ihren dürren Körper flatterten, ohne dabei das geringste Geräusch zu machen - als wäre sie bereits ein Geist.
    »Habe ich das Richtige getan?«, fragte sie ihn damals sehr leise.
    »Natürlich haben Sie das«, lautete seine diplomatische Antwort.
     
    Erst gegen Mitternacht bogen wir in Tante Roses Zufahrt ein. Umberto hatte mich bereits vorgewarnt, dass Janice am Nachmittag mit einem Taschenrechner und einer Flasche Champagner aus Florida eingetroffen war. Was jedoch nicht erklärte, warum direkt vor dem Eingang ein zweiter Sportwagen parkte.
    »Ich hoffe wirklich«, sagte ich, während ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum hievte, ehe Umberto mir zuvorkommen konnte, »dass das nicht der Bestatter ist.« Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, verzog ich wegen meiner schnodderigen Ausdrucksweise das Gesicht. Eigentlich war es überhaupt nicht meine Art, so daherzureden. Das passierte nur, wenn ich in Hörweite meiner Schwester kam.
    Umberto, der nur einen raschen Seitenblick für den mysteriösen Wagen übrig hatte, zog seine Jacke auf eine Art zurecht, wie man es wohl mit einer kugelsicheren Weste tat, ehe man sich ins Kampfgetümmel stürzte. »Ich fürchte, es gibt viele Arten, mit dem Tod umzugehen.«
    Sobald wir Tante Roses Haus betreten hatten, begriff ich, was er meinte. All die großen Porträts in der Diele waren abgenommen und standen nun mit dem Rücken zur Wand wie Verbrecher vor einem Erschießungskommando. Die große venezianische Vase, die immer auf dem runden Tisch unter dem Lüster gethront hatte, war bereits verschwunden.
    »Hallo?«, rief ich laut,
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