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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I
    In riesigen Kristalleuchtern flammte das Licht von Hunderten von Kerzen und spiegelte sich in den golden bemalten Wänden des weiten Saales wider. Die Portieren aus französischem Brokat waren zurückgezogen; der Glanz sollte auch nach draußen dringen, wo das Volk im Schnee wartete; sollte durch die hohen Glastüren über die Terrassen des Schlosses glänzen; sollte im Schnee glitzern und hinauf in den eisigen, sternübersäten Nachthimmel fliegen. Jeder sollte zusehen können, vor allem das Gesinde, die Knechte, Mägde und Diener, die Köche, Gärtner und Kammerfrauen, die Putzmädchen, die kleinen Näherinnen und Korsettmacherinnen, die Soldaten der zaristischen Garde, die in dicken Pelzen Wache standen und das Schloß abriegelten.
    Sie alle würden am nächsten Morgen davon erzählen, und der Glanz dieser Nacht würde nicht allein in St. Petersburg bleiben, er würde durch das ganze Reich von Mund zu Mund fliegen: Es war ein Fest, wie es der Zar noch nie gefeiert hatte: Silvester 1913. Ein Zarenball als Demonstration: So reich, so stark, so sicher ist Rußland! So sehr liebte Gott dieses Land, daß auch das neue Jahr 1914, das in wenigen Stunden begann, ein Jahr des Glücks für Rußland werden würde.
    Das im Kerzenlicht spiegelnde Parkettmosaik aus den edelsten Hölzern war leer. Die Gäste im Saal standen an den Wänden, wie Puppen an einem unsichtbaren Draht aufgereiht. Puppen in den kostbarsten Roben französischer Schneider, behängt mit Brillanten und Perlen, in den kunstvollen Frisuren Diademe oder Blüten aus Rubinen und Smaragden. Dazwischen die schwarzen Fräcke der Herren mit den gestärkten weißen Hemdbrüsten, behangen mit Orden und bunten Schärpen. Ein Farbenrausch von Uniformen, goldbetreßt, funkelnd von den Epauletten bis zu den Lackstiefeln. Die Großfürsten, die Generäle, die Offiziere, die Diplomaten …
    Hier fehlte niemand, der in Rußland einen großen Namen hatte. Man sah die Trubetzkois und die Jussupoffs, die Razumowskis und die Fürsten Lobznow-Rostowski. Da standen an einer der riesigen Glastüren die Stroganows, und zehn Schritt weiter unterhielt sich der fast zwei Meter große Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, der mächtige Onkel des Zaren, mit dem Fürsten Miatlew und dem General Michejew. Auf einer Empore wartete das Orchester in tscherkessischen Uniformen, in einem Nebenraum übten die Tänzer und Tänzerinnen des Petersburger Opernballetts die letzten Schritte und machten sich warm für ihren großen Auftritt. Das riesige Büfett bog sich fast unter den Köstlichkeiten, die von den Köchen des Zaren gezaubert worden waren. Dahinter standen, steif wie aus Holz geschnitzt, die livrierten Lakaien.
    Man wartete auf den Zaren. Das gedämpfte Stimmengewirr lag wie das Summen eines ungeheuer großen Bienenschwarms über all diesem Glanz. Der Metropolit von St. Petersburg, der gleichzeitig Doyen des Diplomatischen Corps war, starrte auf die soeben geöffneten Flügeltüren, in deren Mitte jetzt der Haushofmeister stand. Jeden Augenblick mußte der Zar erscheinen; die beiden kleinen Negerjungen in ihren orientalischen Uniformen, das lebende Spielzeug der gesamten Zarenfamilie, standen bereits rechts und links der Tür.
    Auch die Wyrobowa, Erste Hofdame der Zarin und ihre vielleicht einzige Vertraute, umschmeichelt von jedem und gehaßt von allen, weil sie den Wunderheiler und angeblichen Mönch Rasputin, den Weiberjäger und Gesundbeter, an den Hof geholt hatte, nachdem der Zarewitsch, der Erbe der Zarenkrone, der an der Bluterkrankheit litt, schon mehrmals auf dem Sterbelager gelegen hatte und nur Rasputins Worte und seine streichelnden Hände ihn wieder ins Leben zurückgeholt hatten – auch sie war schon im Saal. Von den Damen der Diplomaten wurde sie begrüßt, als sei sie die Zarin in Person.
    In Rußland einflußreiche Freunde zu haben, ist mehr wert als hundert Segen der Popen, sagte man auf dem Land. Wer die richtige Hand im richtigen Augenblick drückte, war ein glücklicher Mensch. Vor allem am Zarenhof: Hier wurde ein Riesenreich durch Launen, Wünsche und Träume von ein paar wenigen Auserwählten regiert.
    »Jetzt kommt er endlich!« sagte an der Terrassentür der schlanke weißhaarige Stroganow. Irgend jemand hatte dem Orchester einen Wink gegeben, die Musiker hoben die Instrumente, der Dirigent den Taktstock; Großfürst Nikolai Nikolajewitsch stellte sich vor den drei Stufen zum Podium auf, auf dem die goldenen, mit rotem Samt beschlagenen Sessel standen, in
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