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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Deutschland! Daß Sie und ich … daß wir … Feinde werden! Gregorij, so verrückt kann die Welt doch nicht sein. Haben Sie davor Angst?«
    »Ja.« Er blickte in den sternklaren Himmel, aus dem der eisige Frost fiel, eine fast greifbare verdichtete Kälte. Das Läuten der Glocken erfüllte immer noch die Nacht, unterbrochen vom Donner der Böllerschüsse.
    Glocken und Kanonen – wird so das Jahr 1914 werden?
    Gregor drehte sich zu Grazina um und umfaßte ihre zarten Schultern. Er spürte, wie sie sich gegen die Berührung wehrte, aber sie konnte nicht verhindern, daß ihre Gesichter jetzt dicht voreinander waren und der Kälterauch ihrer Atemstöße sich vermischte.
    »Ich muß Ihnen etwas sagen, Grazina Wladimirowna …«, sagte er, heiser vor Erregung.
    »Bitte nicht, Gregorij«, antwortete sie leise.
    »Ich muß es Ihnen sagen, gerade jetzt, bei diesen Glocken, bei diesem Donnern der Kanonen – und bei der Stille, die uns trotzdem umgibt. Spüren Sie es auch, Grazina Wladimirowna? Es ist ganz still um uns, wir sind allein, nur der Schnee leuchtet und die Sterne, und der Himmel zeigt uns seine Unendlichkeit.«
    »Sagen Sie es bitte nicht!« wiederholte sie und lehnte ihre kalte Stirn gegen seine Stirn. »Bitte, sagen Sie es nicht …« Sie legte die Hände gegen seine Brust wie um sich zu schützen, aber es konnte auch das Ertasten seines Herzens sein. Die Glocken dröhnten fort und fort, die Kanonen donnerten den Salut für das neue Jahr. »Es ist wirklich ganz still«, sagte sie. »Ganz still. Darum sollten wir auch jetzt nicht reden, Gregorij …«
    So blieben sie stehen, bis hinter ihnen im großen Festsaal der erste Walzer begann – ein Tanz in das Jahr 1914. Die vier Zarentöchter mit ihren Tänzern, vier Großfürsten, eröffneten den Reigen.
    Die Kälte kroch an Gregor empor, durch die dünnen Sohlen der Lackschuhe fraß sie sich langsam die Knochen hinauf. Aber er blieb bei Grazina stehen, hielt sie umschlungen, und sie hatte immer noch ihre Stirn gegen die seine gedrückt, schwieg und rührte sich nicht.
    »Sie werden sich erkälten«, sagte er endlich.
    »Nein«, sagte sie leise. »Ist es denn kalt?«
    »Ich liebe Sie, Grazina Wladimirowna …«
    »Sie sollten es doch nicht sagen, Gregorij! Warum haben Sie es getan?«
    Sie bog den Kopf zurück, die Fuchskapuze rutschte weg, ihr herrlicher Kopf lag frei in der Kälte, das blonde Haar mit den eingeflochtenen roten Rosen und dem Schleier aus Goldfäden …
    »Ich habe Angst, daß wir wenig Zeit haben.« Er zog die Kapuze wieder über ihren Kopf und blickte hinüber zu den offenen Saaltüren. Sie waren nicht mehr allein hier draußen auf der verschneiten Terrasse des Schlosses … Viele Pärchen hielten sich umschlungen und waren in diesen ersten Minuten des neuen Jahres mit sich allein gewesen. Und in einer der Türen stand ein Mann. Er sah mit gesenktem Kopf zu ihnen hinüber und wartete. Er trug die Uniform eines zaristischen Generals, und in seinem ergrauten Bart bildeten sich Kristalle aus seinem gefrorenen Atem. Anscheinend stand er schon eine geraume Zeit dort und wartete.
    »Gehen wir hinein«, sagte Gregor heiser.
    Sie nickte. »Wollen wir weitertanzen?«
    »Ich glaube, dazu kommt es nicht mehr …«
    Er nahm ihren Arm, und als sie sich umdrehte, erkannte auch sie den Mann in der Tür. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich, was Gregor fassungslos beobachtete. »Mein Vater!« sagte Grazina. Sie war blaß vor Schrecken, und ihre Stimme klang wie gefroren, wie der knirschende Schnee unter ihren Schritten.
    Sie gingen zu der Tür, an der Michejew wartete. Arm in Arm, als sei dies selbstverständlich, blieben sie vor dem General stehen, aber Gregor kam nicht dazu, eine Erklärung abzugeben. Michejew hob die Hand und wischte diese für ihn unbegreifbare Ungeheuerlichkeit weg.
    »Oberleutnant von Puttlach«, sagte er. Seine Stimme war ohne Erregung, aber auch ohne die geringste menschliche Wärme. »Ich erwarte Ihren Besuch morgen gegen elf Uhr in meinem Haus.«
    »Ich wollte gerade darum bitten, Exzellenz.« Gregor schlug die Hacken zusammen. »Ich wollte mir erlauben …«
    »Was Sie sich erlaubt haben, sehe ich!« Der General wandte sich ab. »Grazina, wir fahren nach Hause. Deine Mutter wartet schon im Schlitten!«
    »Ich möchte noch tanzen, Vater!« sagte sie da.
    Michejews Kopf flog herum, als habe man ihn geohrfeigt. »Tanzen?« wiederholte er gedehnt.
    »Ja, Vater!« Sie streifte die Kapuze zurück und öffnete den Pelzmantel. Sofort rannte
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