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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe
Autoren: Marie Cordonnier
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liegend, blutend, ohne Rüstung und ohne Schwert? Wer hatte dem kühnsten Ritter des Herrn von Blois die Standarte entrissen? Doch je mehr er sich den schmerzenden Kopf zermarterte, um so sinnloser war es. Am Ende siegten stets der Schmerz und die Dunkelheit.
    Er vermochte nicht zu sagen, wie viel Zeit verstrichen war, bis er aus jenem erstickenden Strudel auftauchte und sich zum ersten Male fragte, wo er sich eigentlich befand. Dem Staub nach hätte er in einer Unratgrube liegen können. Zumindest nahm seine Nase eine außerordentlich beleidigende Geruchsmischung wahr. Der instinktive Versuch, dieser Jauchegrube zu entfliehen und sich aufzurichten, entlockte ihm jedoch ein heiseres Stöhnen. Rot glühende Wellen der Pein fluteten durch seinen ganzen Körper, und sein armer Kopf dröhnte vor Qual.
    »Schscht! Ihr müsst liegen bleiben«, mahnte die vertraute Stimme. »Ihr habt einen gewaltigen Hieb auf den Kopf bekommen, und die Wunde in Eurer Schulter wird wieder aufbrechen, wenn Ihr keine Ruhe gebt!«
    Etwas Kühles, Minzeduftendes wischte über seine Stirn und schenkte ihm die Kraft, die schweren Lider zu heben, um das Bild zu betrachten, das sich ihm bot. Beleuchtet von den letzten Strahlen der Sonne, die gerade hinter den Mauern der zerstörten Stadt versank, schwebte das Gesicht wie eine Vision vor ihm.
    Ein Mädchenantlitz von eigenartiger Anmut und Ruhe. Klare, reine Züge, beherrscht von großen, fragenden Augen, die weit auseinander standen und seltsam intensiv seinen Blick erwiderten. Gegen das flirrende Sonnenlicht vermochte er ihre Farbe nicht zu bestimmen, aber sie schienen hell zu sein.
    Ihr Mund war recht groß, und der sinnlich-volle Schwung der Unterlippe sorgte dafür, dass der Gesamteindruck zwar anrührend unschuldig, aber beileibe nicht fromm wirkte. Eine gerade kleine Nase, ausgeprägte Wangenknochen und ein rundes, höchst eigensinniges Kinn verrieten zudem, dass ihre Besitzerin dazu neigte, am liebsten den eigenen Kopf durchzusetzen.
    Unter einem straff gebundenen Kopftuch fielen ein paar ordentlich geflochtene, dicke Zöpfe über ihre Schultern, ihr schmutziges, zerfetztes Gewand war das einer einfachen Magd.
    »Wer bist du ...«, brachte er mühsam hervor.
    »Sie nennen mich Jorina«, entgegnete das Mädchen sanft.
    »Und wo ...«
    Sie schien zu wissen, was er fragen wollte, und legte ihm einen Finger auf die spröden Lippen.
    »Das hier war einmal die Herberge ›Zum Anker‹. Jetzt nennen sie es Lazarett. Man hat alle Männer zusammengetragen, die zu schwer verwundet sind, um noch gehen zu können.«
    »Und die Schlacht?«
    »Die Schlacht ist seit Tagen vorbei«, erzählte sie und wrang das Stück Stoff aus, mit dem sie sein Gesicht abgewischt hatte. »Ihr habt im Fieber gelegen, deswegen wisst Ihr es nicht.«
    Er ächzte bei dem vergeblichen Versuch, seine verschwommenen Erinnerungen und ihre Erzählungen einander anzugleichen. »Der Sumpf ...«, murmelte er. »Da war plötzlich der Sumpf ... Wir hätten den Sumpf um jeden Preis meiden müssen, er bedeutete den Tod ...«
    »Ihr habt für Charles von Blois gekämpft?«
    Jorina wusste es längst, aber sie wollte aus seinem eigenen Mund hören, was geschehen war. Sie hatte inzwischen manches über die Ereignisse in Erfahrung gebracht. Die Truppen des Herrn von Blois hatten sich in den Sümpfen am kleinen Meer auf verlorenem Posten befunden. Man munkelte, es sei Verrat im Spiel gewesen und Jean de Montfort habe nur aufgrund dieser Heimtücke am Ende den Sieg davongetragen. Der Zufall hatte Jorina die Antwort auf diese Frage geschenkt, aber sie begriff instinktiv die Gefährlichkeit dieses Geheimnisses. Noch schien es ihr ratsam zu sein, ihre Kenntnisse für sich zu behalten.
    »Was ... was ist mit dem Herrn von Blois?«
    Er wollte die Hand nach ihr ausstrecken, das Mädchen festhalten, bis er alle Fragen beantwortet hatte, aber sein Arm versagte den Dienst. Er war schwach wie ein Neugeborenes und sogar noch hilfloser.
    »Ihr dürft Euch nicht aufregen!« Das feuchte Tuch wischte über seine Schläfen, während die Magd in Worte fasste, was er längst befürchtete. »Euer Herr ist gefallen, und seine Truppen wurden besiegt. Jean de Montfort, der Vetter des Königs von Frankreich, ist der neue Herzog der Bretagne! Man sagt, der Krieg sei endlich zu Ende.«
    »Gott sei seiner armen Seele gnädig«, stöhnte der Ritter, und Jorina ahnte, dass er den Herrn von Blois damit meinte und nicht Jean de Montfort.
    »Ihr könnt später um die Toten
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