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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe
Autoren: Marie Cordonnier
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die Verfehlungen deiner armen Mutter beten kannst, aber vielleicht ist es nun gut, dass kein endgültiges Gelübde dich bindet! Ich bezweifle ohnehin, dass du berufen wärst.«
    »Aber dieser Stein ...«
    »Ist alles, was ich dir geben kann. Mache sorgsam Gebrauch davon. Solltest du dennoch in ein anderes Kloster eintreten wollen, kann er dir als Mitgift dienen. Aber verrate keiner Menschenseele, woher du ihn hast. Gott und die heilige Anna mögen dich beschützen!«
    Jorinas Blick huschte durch das unheimliche Gewölbe unter der Kirche von Sainte Anne. Die blakende Kerze verwischte die Konturen zwischen Schatten und Wirklichkeit. Dennoch erkannte sie, dass die Flügel des Kreuzes, das dort auf dem Tisch lag, mit Hammer und Meißel gewaltsam ihres Schmuckes beraubt worden waren.
    »Ihr habt dieses Kreuz zerstört«, flüsterte sie betroffen. »Weshalb?«
    »Kümmere dich nicht darum! Es ist das Beste, was damit geschehen konnte. Nur so kann die Macht für immer gebrochen werden! Es darf nicht länger existieren! Wenn es in die falschen Hände gerät, bringt es nur Unglück!«
    Jorina biss sich auf die Unterlippe. War das Kloster nicht der sichere Hort, den alle in ihm sahen? Brachte Mutter Elissa seine Kostbarkeiten vor möglichen Marodeuren in Sicherheit? Sie hatte nicht geahnt, dass etwas existierte, was einer solchen Mühe überhaupt lohnte. Die bescheidene Gemeinschaft der Nonnen der heiligen Anna zeichnete sich durch Frömmigkeit, Entbehrung und Freudlosigkeit aus. Unwillkürlich schlossen sich Jorinas Finger fester um das fremdartige Juwel. Es verströmte eine eigenartige Wärme und Energie.
    »So geh endlich! Gott sei mit dir!«
    Die schroffe Aufforderung bewirkte das Gegenteil. Die zierliche Novizin erstarrte förmlich. Schon einmal hatte jemand ihr in höchster Anspannung diesen Befehl gegeben. Ihre Mutter! Sie hatte sie gewaltsam durch den schmalen Spalt in der dünnen Holzwand des Anbaus schieben müssen, damit sie ging. Fort von den aufgebrachten Schreien, den heiseren Stimmen, den erschreckenden Drohungen.
    »Geh und komm nie zurück!«
    Sie hatten dafür gesorgt, dass sie gar nicht zurückkommen konnte. Die brennende Kate war zum Grab für ihre Mutter geworden. Jorina hatte die Flammen gesehen, den heiseren Aufschrei der Qual gehört und sich die Gesichter der Menschen gemerkt, die das entsetzliche Sterben beobachteten.
    Die meisten von ihnen waren schon einmal im Wald gewesen. Sie hatten ein Mittel gegen quälenden Husten, gegen schwärende Wunden oder gar eine Möglichkeit gesucht, die Folgen einer sündigen Leidenschaft loszuwerden, ehe sie offen zutage trat. Ihnen allen war geholfen worden, soweit es in der Macht der Kräuterfrau stand – und zum Dank dafür hatten sie Jorinas Mutter am Tage ihres Todes Hexe, Hure und Schlimmeres genannt.
    Sie hatten ihre verängstigte Tochter durch den Wald von Penhors in eine ungewisse Zukunft gejagt, bis Jorina erschöpft und halb von Sinnen im Kloster Sainte Anne Zuflucht gefunden hatte. Eine karge neue Heimat, die nun der unselige Erbfolge-Krieg bedrohte, der die Bretagne seit Jahren heimsuchte.
    Die Erinnerungen, die das Mädchen für einen Moment gelähmt hatten, trieben es schließlich doch davon. Was auch immer geschah, der Wille zu leben und zu atmen war so mächtig in ihr verankert, dass sie keinen Herzschlag länger zögerte. Sie wollte nicht sterben! Nicht in einer Kate im Wald, und nicht in einem Kloster! Sie hatte doch noch nie richtig gelebt!
    Das grünlich schimmernde Kleinod der Äbtissin fest umklammert, raffte sie die Säume ihres bescheidenen, groben Habits und eilte die ausgetretenen, ungleichen Stufen hinauf in das Gotteshaus. Sie flog förmlich durch die Pforte, über den trockenen Hof mit dem dürren Gras, am Ziehbrunnen vorbei zum verlassenen Küchenhaus, wo das Feuer längst erloschen war. Niemand hatte Zeit zu kochen, während vor Auray eine Schlacht tobte, deren Sieger die Herrschaft über die Bretagne an sich reißen würde.
    Jorina hatte lange genug zwischen den Tischen und Feuern der Klosterküche gestanden, um zu wissen, dass sich im Vorratsschuppen auch eine Truhe mit abgelegten Gewändern befand. Zerschlissene Lumpen, kaum gut genug für eine Küchenmagd. Mit fliegenden Fingern riss sie die verräterische Haube vom Scheitel und tauschte das fadenscheinige Gewand gegen die schäbigen Fetzen aus, die sogar den Nonnen zu abgenutzt gewesen waren, um sie noch zu flicken.
    Wenig später eilte sie im Dunkel der hereinbrechenden Nacht
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