Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten
Autoren: George Pelecanos
Vom Netzwerk:
EINS
    Der Schauplatz des Verbrechens befand sich im Bereich der unteren 30er-Straßennummern – nicht weit von der E Street, am Rand des Fort Dupont Park, in einem Viertel namens Greenway im 6th District von Southeast D C. Ein vierzehnjähriges Mädchen lag am Rand eines Gemeindegartens im Gras. Die Stelle war von den angrenzenden Häusern aus nicht einsehbar. Die Tote trug ihr Haar zu kleinen Zöpfen geflochten, die mit bunten Perlen geschmückt waren. Todesursache war anscheinend ein einziger Kopfschuss. Ein Polizist mittleren Alters hockte neben ihr, stützte sich auf ein Knie und starrte sie an, als erwartete er, dass sie aufwachte. Der Mann hieß T.C. Cook, war Sergeant beim Morddezernat und seit vierundzwanzig Jahren im Dienst. Er dachte nach.
    Seine Gedanken waren nicht optimistisch. Weder an der Toten selbst noch in ihrer unmittelbaren Umgebung war Blut, mit Ausnahme der Einschuss- und Austrittswunden, wo es bereits geronnen war. Keinerlei Blut auf ihrem Shirt, Jeans oder Turnschuhen, die gesamte Kleidung sah brandneu aus. Cook folgerte daraus, dass der Täter die Leiche nach dem Mord umgezogen, hertransportiert und hier abgelegt hatte. Eine leichte Übelkeit überkam den Sergeant, und – wie er sich nicht ohne Schuldgefühle eingestand – sein Puls beschleunigte sich, wenn nicht vor Erregung, so doch vor Spannung. Die Leiche war noch nicht identifiziert, aber Cook war sich sicher, dass es Parallelen zu den anderen gab. Sie war eine von ihnen.
    Das mobile Kriminallabor war eingetroffen. Die Techniker der Spurensicherung taten ihre Arbeit, doch sie schienen antriebslos und niedergeschlagen, als rechnete niemand ernsthaft mit Erfolgen. Wurde eine Leiche vom Tatort entfernt, bedeutete das im Allgemeinen, dass kaum forensische Hinweise zu finden waren. Zu allem Überfluss hatte es auch noch geregnet. In solchen Fällen lachte sich der Mörder ins Fäustchen, wie manche der Techniker sagten.
    Nahe dem Fundort standen ein Rettungsfahrzeug und mehrere Streifenwagen mit uniformierten Polizisten, die zur Verstärkung angefordert worden waren. Außerdem hatten sich ein paar Dutzend Schaulustige versammelt. Das Gelände war bereits mit gelbem Flatterband abgesperrt, und die Uniformierten mussten jetzt Gaffer und Reporter fernhalten, damit ihre Kollegen vom Morddezernat und der Spurensicherung nicht bei der Arbeit gestört wurden. Superintendent of Detectives Michael Messina und Captain Arnold Bellows vom Morddezernat standen innerhalb der Absperrung, ein wenig abseits von Sergeant Cook, und redeten leise miteinander. Der Pressesprecher, ein Italo-Amerikaner mit zahlreichen Muttermalen, der häufig im Fernsehen zu sehen war, gab einem Reporter von Channel 4 die üblichen Auskünfte.
    Zwei Uniformierte standen neben ihrem Streifenwagen. Sie hießen Gus Ramone und Dan Holiday. Ramone war von mittlerer Größe und Statur, Holiday größer und gertenschlank. Beide waren Collegeabbrecher, Single, Anfang zwanzig und weiß. Beide waren im zweiten Dienstjahr, also weder Grünschnäbel noch erfahrene Cops. Sie hatten bereits ein gewisses Misstrauen gegenüber höheren Dienstgraden entwickelt – das hieß, gegenüber allen oberhalb vom Sergeant waren aber noch nicht zynisch geworden.
    »Sieh dir die an.« Holiday wies mit seinem spitzen Kinn in die Richtung von Superintendent Messina und Captain Bellows. »Die reden nicht mal mit T.C.«
    »Sie lassen ihn eben in Ruhe arbeiten«, erwiderte Ramone.
    »Von wegen. Ich sag dir, die Weißhemden haben Angst vor ihm.«
    T.C. Cook war ein durchschnittlich großer Schwarzer, der einen beigefarbenen Regenmantel mit herausnehmbarem Futter über einem Sportjackett mit Hahnentrittmuster trug. Sein eleganter Stetson, hellbraun mit schokoladenfarbenem Band, in dem eine kleine bunte Feder steckte, saß etwas schräg auf dem kahlen Kopf mit den graumelierten Haarbüscheln an den Seiten. Er hatte eine Knollennase und einen buschigen braunen Schnurrbart. Er lächelte selten, in seinen Augen lag jedoch manchmal ein belustigtes Funkeln.
    »Der Mann mit der Mission«, bemerkte Holiday. »Die hohen Tiere mögen ihn nicht, aber sie kommen ihm nicht in die Quere. Der Bursche hat eine neunzigprozentige Aufklärungsquote; der kann sich alles erlauben.«
    Typisch Holiday, dachte Ramone. Wer Erfolg hat, dem wird alles verziehen. Man muss nur Ergebnisse liefern, dann kann man verdammt nochmal tun und lassen, was man will.
    Ramone hatte seine eigenen Prinzipien: sich an die Vorschriften halten, immer auf der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher