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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe
Autoren: Marie Cordonnier
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zwischen den ordentlich gefassten Gemüsebeeten hindurch, während sie die brüchigen Schnüre eines ausgefransten Barchentrockes zuzog. Sie hatte das zu lange Kleidungsstück mehrmals in der Taille umgeschlagen, damit sie nicht auf den Saum trat, und gleichzeitig den Stein darin verborgen. Darunter trug sie ein sackähnliches Hemd, und zwischen den Zähnen hielt sie den Rest Hanfschnur, damit sie ihre langen, schweren Haare zum Zopf flechten konnte.
    Die knirschenden Geräusche der kleinen Steinchen unter ihren Holzpantinen erstickten im Lärm, der in diesem Augenblick vor dem Klostertor aufbrandete. Mutter Elissa hatte recht gehabt. Wer immer dort gewaltsam die Streitäxte in die groben Bohlen der Türflügel schlug, machte nicht den Anschein, als wolle er den Frieden des heiligen Ortes und die Unversehrtheit seiner frommen Bewohnerinnen respektieren.
    Ein Rammbock polterte dumpf gegen die Balken, als Jorina sich geschmeidig in die Zweige eines Apfelbaumes zog, der nahe der Klostermauer wuchs. Sie hatte nichts verlernt in den drei Klosterjahren. Die harte Arbeit hatte ihren Körper gestählt; geschickt kletterte und sprang sie nun. Ein paar Äpfel kullerten zu Boden, aber es gab weit und breit niemanden, der dieses Zeichen ihrer Flucht bemerkt hätte.
    Sie ließ sich fallen und kam mit allen vieren auf dem weichen Moos des Waldbodens auf. Im Dunkel der mondlosen Nebelnacht tastete sie mit den Händen nach ihren Holzschuhen, die sie beim Sprung verloren hatte. Sie fand nur einen und verlor kostbare Zeit, ehe sie den zweiten unter einem Nussstrauch entdeckte.
    Keuchend stopfte sie die viel zu großen Pantinen mit Moos aus und schlüpfte wieder hinein. Feuchter Nebel setzte sich klamm und kalt in Haaren und Kleidern fest. Hinter der mannshohen Klostermauer aus groben Feldsteinen krachte das Tor auf. Männergebrüll, Waffengeklirr, Pferdewiehern und vereinzelte schrille Frauenschreie verrieten Jorina, welchem Schicksal sie soeben entfloh!
    Arme Mutter Elissa. Sie schuldete ihr Dank, wenn sie schon keine Liebe für sie aufbringen konnte. Was war das für ein schrecklicher Krieg, der nicht einmal die fromme Zurückgezogenheit eines Klosters respektierte? Wo sollte sie Zuflucht finden? Unwillkürlich legte sie die Hand auf den Stein an ihrer Taille. Eine seltsame Energie schien von ihm auszustrahlen.

1. Kapitel
    Der Wasserkrug war längst leer, als Jorina den Mann entdeckte. Eine mitleidige Seele hatte feuchtes, klumpiges Stroh unter seinen Rücken gehäuft, damit er besser atmen konnte. Er lehnte im Halbdunkel an einer halb zerstörten Stallmauer, und sie hätte ihn fast übersehen, hätte sich seiner Brust nicht ein Stöhnen entrungen.
    Er trug keine Rüstung; das ordnete ihn unter die Verlierer der Schlacht ein. Es gab nicht viele von ihnen unter den Verletzten. Die Leichenfledderer, die im Morgengrauen wie Geier das Schlachtfeld heimgesucht hatten, hatten ihrem Namen traurige Ehre gemacht. Zusammen mit ihrer Rüstung, ihrer Kleidung und Ringen oder Juwelen hatten die meisten Verwundeten auch ihr Leben eingebüßt. Jener hier konnte von Glück sagen, dass er in diesem Behelfslazarett gelandet war, dessen Errichtung Jean de Montfort befohlen hatte.
    Die Feldhauptleute des neuen Herzogs der Bretagne hatten dem üblen Treiben der menschlichen Aasgeier ein Ende bereitet. Sie organisierten den Transport der Verwundeten zu hastig eingerichteten Verbandsplätzen und verscharrten die armen Teufel, die weniger Glück gehabt hatten, in Massengräbern. Der Herzog war sich der Seuchengefahr in einer halb zerstörten, geplünderten Stadt am Rande eines Schlachtfeldes nur zu bewusst.
    Jorina stieg über einen bärtigen Kerl hinweg, den eine hässliche Wunde quer über seinen Oberkörper nicht daran hinderte, nach ihren Röcken zu grabschen. Sie schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, sondern beugte sich über die reglose Gestalt in der Ecke. Ohne dass sie sagen konnte, weshalb, unterschied dieser Mann sich in ihren Augen von den anderen Soldaten, die hier wie menschliches Strandgut zwischen den Ruinen einer halb ausgebrannten Herberge und deren Ställen lagen.
    Die Fetzen eines ehemals weißen Leinenhemdes von feinster Webart hingen um seinen Oberkörper. Sie waren so blutbesudelt und zerrissen, dass sie nicht einmal mehr die Leichenfledderer verlockt hatten – nun, vielleicht waren auch die menschlichen Aasgeier bei ihrem Treiben gestört worden. Das würde auch erklären, weshalb er die Beinlinge aus Leder noch trug, obwohl ihm
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