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Arminius

Arminius

Titel: Arminius
Autoren: Sebastian Fleming
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    Stolz spannte Ergimer, umringt von den staunenden cheruskischen Fürsten, den großen Eichenbogen des Vaters. Er hörte, wie Elda im Hintergrund vor Begeisterung jubelte. Der Junge genoss den Moment der Bewunderung und spürte doch, zuerst unterschwellig, dann immer deutlicher, dumpfe Stöße, die rhythmisch wiederkehrten, jedes Mal lauter, drängender, gefährlicher und die schließlich den Himmel zum Einsturz brachten. Statt des Firmaments erblickte der erschrockene Knabe im Traum das vielfältige Schwarz der Raben, die aufgeregt hin und her flatterten. Unterdessen ächzte und stöhnte das große Langhaus, der Wohnsitz der Familien des cheruskischen Fürsten Segimer und seiner fünf Gefolgsleute, unter dem Ansturm um sich schlagender Unholde. Die Angstschreie der Frauen und das monotone Gebrüll aus Männerkehlen in einer ihm fremden Sprache rissen den Sohn des Fürsten endgültig aus dem Schlaf und jagten ihm eine nie gekannte Furcht ein.
    In dem Augenblick, als der neunjährige Knabe vergeblich versuchte, sich den Albtraum aus den Augen zu reiben, barst der schwere Holzriegel des Haupttores der Wohnhalle, und der plumpe Kopf eines römischen Rammbocks drang unaufhaltsam wie das Verhängnis ins Innere des Langhauses ein. Gespenstisch geschwind zwängten sich immer mehr Legionäre mit gezückten Schwertern durch den Spalt, den der Bock in das Tor geprügelt hatte. Der Junge brach vor Entsetzen in Tränen aus. Germir legte den Arm um den vier Jahre jüngeren Bruder, drückte ihn an sich und sprach beruhigend auf ihn ein: »Vater ist ja da. Es wird nichts passieren! Still, still!«
    Fremdes Kriegsvolk drängte sich in der Halle, in der sie alle schliefen. In der Mitte befand sich die Feuerstelle, um die Vater und Mutter, die Großeltern, Onkel und Tanten sowie die erwachsenen Cousins saßen, etwas weiter ab auch Mägde und Knechte. Es wurden immer mehr Schwertmänner, die von draußen hereindrangen. Die eisernen Helme und schwarz glänzenden Brustpanzer verliehen den Legionären in dem nur von Fackeln beleuchteten Saal ein unheilvolles Aussehen. Einige Römer trugen versilberte Gesichtsmasken, deren kalt glänzende Unbewegtheit jede Hoffnung auf Mitleid erstickte. Ergimer erinnerte sich, dass die Sänger in den alten Liedern oft vom Endkampf der Götter und der Riesen erzählten. Genau so musste diese Schlacht der Schlachten dereinst aussehen, dachte er, und das Bild des nächtlichen Überfalls brannte sich für immer in sein Gedächtnis ein. In diesem Moment beobachtete er mit wachsender Sorge, wie sein Vater dem Anführer der Eindringlinge zornig entgegentrat.
    In seinem kurzen Leben hatte der Knabe bisher noch keinen Römer gesehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese wilden Zweibeiner Menschen sein sollten. Wären die Gestalten größer gewesen, hätte er sie für Thursen, für böse Riesen, gehalten. Doch da sie im Wuchs nicht an die Cherusker heranreichten, konnten es nur Unholde aus den Höhlen, aus den Steinen, aus dem Wurzelwerk sein. Gegen diese aber gab es einen Schutz: sein Amulett aus Bernstein!
    Ergimer sprang auf, löste die Kette mit dem schützenden Anhänger vom Hals und ging auf seinen Vater Segimer zu. Da traf ihn kurz und brutal der rechte Unterarm eines Legionärs und schleuderte ihn in die Ecke. Er spürte einen betäubenden Schmerz, der von einer namenlosen Wut abgelöst wurde. Was erdreistete sich dieser Halbmensch? Das Amulett prallte von der Lehmwand ab und fiel zu Boden. Rasch nahm Germir den Glücksbringer auf und legte ihn wieder um den Hals des Bruders.
    »Bist du verrückt? Rühr dich nicht von der Stelle!«, raunte er ihm zu.
    »Ich wollte doch nur …«
    »Pst, sei still!« Der Bruder hielt ihm den Mund zu.
    »Was soll das?«, wandte sich Segimer nun mit blitzenden Augen an den Römer, den er für den Führer der Eindringlinge hielt. Im blakenden Licht der Fackeln wirkten die Gesichtszüge des Vaters hart wie Stein. So hatte ihn Ergimer noch nie gesehen. Der Centurio, ein breiter und stämmiger Kerl, brüllte auf Latein zurück, in einer Sprache, die für den kleinen Jungen wie das Zischeln einer Schlange klang: »Habeas debita!« Ein germanischer Hilfssoldat übersetzte die Worte des feindlichen Anführers: »Du hast Schulden!«
    Alle hielten den Atem an. Wie würde Segimer reagieren? Nur das Scharren des Viehs nebenan durchbrach die gespannte Stille.
    »Wem auf der Welt sollte ich etwas schulden?«
    »Dem Princeps, unser aller Herrn Augustus!«
    »Es mag ja dein Herr
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