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Arminius

Arminius

Titel: Arminius
Autoren: Sebastian Fleming
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Lehrer Salvianus erzählt, seien die heiligen Tiere der Germanen, Formen, die ihre Götter gelegentlich annahmen. Wotan solle sich häufig in der Gestalt dieses Unheil kündenden Vogels zeigen.
    Dann sprach die Priesterin, überraschenderweise auf Latein: »Wohin willst du eigentlich noch ziehen, unersättlicher Drusus? Es ist dir nicht vom Schicksal bestimmt, dies alles hier zu sehen. Ziehe von dannen! Denn das Ende deiner Taten und deines Lebens ist nahe. Diesseits der Elbe erwartet dich nur der Tod, jenseits aber die Wut der Götter, geh! Unseliger!« Die Priesterin schwang den Knochen und warf ihn dem Feldherrn vor die Füße. Julius meinte, den trockenen Ton splitternder Knochen zu vernehmen. Und die schreckliche Frau war noch nicht am Ende ihrer Rede.
    »Schau ihn dir genau an, es ist dein Knochen, aus dem der Tod wächst!«
    Dann fügte sie Worte in einer fremden Sprache hinzu: »Wewurt skihit!«
    Auf ein Zeichen von ihr ruderten die vier Jünglinge kräftig und gemessen die Barke zurück ans andere Ufer. Dabei fesselte die unheimliche Frau den Feldherrn mit ihrem magischen Blick, während der Lärm auf der anderen Seite des Flusses wieder anschwoll.
    »Was sollen wir tun, Imperator?«, brüllte der Legat fragend nach einer Weile gegen den ohrenbetäubenden Krach an. Drusus antwortete nicht. Galerius verharrte unschlüssig, dann wiederholte er seine Frage mit der ganzen Gewalt seiner in jahrzehntelangem Militärdienst gestählten Stimme.
    »Schweig!«, herrschte ihn Drusus an. »Schweig. Hörst du nicht das Lied der Nornen, Galerius?«
    So sehr sich Julius auch bemühte, er vernahm nichts, nichts außer dem Flügelschlag der aufgeregt hin und her flatternden Vögel und dem Dröhnen und Poltern der Luren und Trommeln.
    »Es sind die germanischen Parzen«, stöhnte der Feldherr. »Wurt, Werdandi und Scult, Gestern, Heute und Morgen, das, was war, das, was ist, und das, was sein wird.« Der Tonfall des Vaters jagte Julius einen tüchtigen Schrecken ein.
    Die Priesterin hatte unterdessen die andere Seite des Flusses erreicht. Jeder Ton erstarb augenblicklich, es herrschte vollkommene Stille. Die Frau verließ das Boot und blieb bewegungslos am Ufer stehen, als wartete sie darauf, dass der Römer samt seiner Legionäre abzog. Starr wie eine Statue blickte sie herüber. Drusus schien von ihrem Anblick wie gebannt.
    Julius schossen plötzlich die Tränen in die Augen, und er rief: »Vater, Vater!«
    Drusus erwachte aus seiner Erstarrung und wandte sich ihm zu. Alle erschraken. Der Feldherr war blass und schien um Jahre gealtert. Einzelne Haarsträhnen waren grau, manche auch weiß geworden. Hastig nahm er den Sohn auf den Arm und ging zu seinem Pferd.
    »Beeilt Euch! Wir müssen umkehren, bevor es zu spät ist!«

3
    Der weiche Waldboden federte die Härte des Aufpralls ab, sodass Ergimer mit ein paar blauen Flecken davonkam. Den Schmerz spürte er kaum, denn er blickte geradewegs in die hungrigen Augen des Leitwolfes, der gefährlich knurrte und dabei die Zähne entblößte. Lange und geduldig hatte er auf seine Beute gewartet. Ergimer spürte, dass die klugen Wölfe sich in Position brachten und ihn umzingelten. Gleich würden sie über ihn herfallen. Schon machte der Leitwolf einen Schritt auf ihn zu, da brach er von einem Pfeil getroffen zusammen. Auch andere Wölfe wurden von Geschossen niedergestreckt. Der Knabe schaute sich um und entdeckte seinen Vater, seinen Onkel Ingoumer, einen älteren Cousin und andere Männer aus Segimers Gefolge, die auf ihn zukamen. Träumte oder wachte er?
    Erleichterung breitete sich auf Segimers Gesicht aus. »Wie gut, dass wir dich noch rechtzeitig gefunden haben!« Er beugte sich hinunter, um seinen Sohn in die Arme zu schließen.
    Doch vor Ergimers Augen erschien in diesem Moment wieder das grauenvolle Bild. Zwischen den entseelten Leibern der Römer sah er den Vater mit seiner Doppelaxt wüten, verschmiert und im Blute watend, der alle noch Lebenden, die sich zur Flucht wandten, geübt und ohne Eile fällte. Voller Entsetzen wich Ergimer vor dem Mann zurück, der dieses Abschlachten angeführt hatte und der doch sein Vater war.
    Segimers Augen verdüsterten sich, als er die langen Finger des Wahns gewahrte, die nach seinem kleinen Sohn griffen.
    »Ich weiß, du hast es gesehen!«
    Ergimer zitterte, heiße Tränen flossen ihm über die Wangen.
    »Du hättest es nicht sehen sollen, du bist noch zu jung dafür. Später wirst du es verstehen. Ein freier Mann kann nicht ohne Ehre
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