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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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zweiundvierzig Jahre alt war. Wenn man hin und wieder seine Augenlider flackern sah, konnte man glauben, dass er irgendwie doch bei sich war und von neuen Büchern träumte. Dann sagten sie uns, dass er, falls er überhaupt aufwachte, womöglich einen Hirnschaden hatte. Aber wir glaubten ihnen nicht. Das heißt, Sean glaubte ihnen. Sean machte sich unendlich viele Vorwürfe, und wir wussten, warum. Als hätten wir nicht alle etwas, das wir bereuen, oder, Sean?
    Ich war schon lange vor dem Unfall über das Stadium hinaus, in dem kleine Mädchen glauben, ihre Väter wären perfekt. Insgeheim gefiel es mir aber immer, dass mein Dad anders war. Erst mal hatte er keinen Allerweltsjob. Und er sah auch anders aus. Mit seinen dunklen Augen und der blassen Hautfarbe konnte man leicht denken, dass seine Wurzeln in Nordafrika lägen. Er selbst glaubte das übrigens. Und sein leichter East-London-Akzent klang cool, auch wenn wir ihn damit gern aufzogen. Dafür machte er unseren platten Tipperary-Akzent nach und lachte sich über unsere komischen irischen Ausdrücke schlapp.Manchmal hätte man ihn eher für einen älteren Bruder halten können als für einen Vater.
    Mir erzählte er mal, er schreibe Kinderbücher, weil er in seinem Innern noch viel zu sehr Kind sei, um irgendwas anderes zu schreiben. Wenn ich jetzt daran denke, wünschte ich mir, ich hätte ihn nach seiner Kindheit gefragt. Nicht dass das ein Tabuthema gewesen wäre. Er erzählte mir schon von all den komischen Dingen, die ihm als Kind passiert waren. Aber er sprach nie davon, dass er unglücklich gewesen wäre, obwohl er es lange Zeit gewesen sein muss. Er hat nie erfahren, wer sein Vater war, und er hatte wenig bis gar keine Erinnerungen an seine Mutter, die starb, als er fünf Jahre alt war. Er lebte in einer Pflegefamilie, bis er sechzehn war, dann ging er seinen eigenen Weg, ohne irgendjemanden, der ihm beigestanden hätte. Warum habe ich nicht tiefer gegraben? Vielleicht, weil ich unsere lockere Beziehung nicht aufs Spiel setzen wollte. Ich wusste, dass ich mit meinem Dad Glück hatte.
    »Wenn mein Dad wenigstens ein bisschen lockerer wäre«, hat sich meine Freundin Jill mal beklagt, »mehr so wie deiner.« Wobei ich zugeben muss, dass sie gute Gründe hat, sich zu beklagen. Ihr Vater ist ein religiöser Spinner und ein ziemlicher Tyrann.
    »Wir haben auch unseren Stress, glaub mir«, hab ich geantwortet.
    Und den hatten wir natürlich, obwohl es nie in einen richtig schlimmen Streit ausartete. Das Übliche eben. Wie zum Beispiel, als ich unbedingt eins von den ersten Fotohandys wollte, nur weil jemand anders in der Klasse schon eins hatte. Oder als ich in einen Club ab sechzehn wollte, obwohl ich erst vierzehn war. Oder wenn er mit seinen Witzengenervt hat. In den Wochen, bevor wir mit dem Musical zum ersten Mal auftraten, hat er mich bald wahnsinnig gemacht. Ständig hat er »Tomorrow« mit einem übertrieben gerollten »r« gesungen. Es hat mich echt auf die Palme gebracht, aber die Nerven habe ich trotzdem nicht verloren. Ich wusste, dass er gern herumalbert, es aber nicht böse meint. Sean hat nicht meine guten Nerven. Und am Abend vor dem Unfall ist er explodiert. Aus dem dümmsten Grund, den man sich vorstellen kann und der mit Dad überhaupt nichts zu tun hatte: aus unerwiderter Liebe.
    Irgendwie hatte »Zusa« es geschafft, sich Seans Handy zu schnappen und mit unter den Küchentisch zu schleppen. Sean und ich saßen im Wohnzimmer und schauten uns mit Dad ein Champions-League-Spiel im Fernsehen an. So hatte Tom genügend Zeit, herzhaft ins Handy zu beißen und dabei die Tastatur und das Display zu zermalmen, bevor er es in die Ecke schmiss und weiterkrabbelte, um nach was Neuem Ausschau zu halten, das er kaputt machen konnte. Als Sean sein Handy wiedergefunden und die Abdrücke der kleinen Zähne darauf entdeckt hat, ist er ausgerastet.
    Erst warf er Mam vor, sie hätte Tom erlaubt, mit seinem Handy zu spielen, und geduldig, wie sie ist, versprach sie ihm ganz ruhig, gleich morgen würden sie ihm ein neues besorgen. Aber da hatte er schon seinen Tobsuchtsanfall.
    »Verdammt, ich kann keine SMS mehr bekommen! Und auch keine mehr verschicken! Und vielleicht sind alle meine Nummern weg!«
    »Wir besorgen dir morgen ein neues, okay?«, sagte Mam.
    »Die kleine Rotznase kann hier tun und lassen, was sie will!«
    »Wie wär’s, wenn wir ihn über Nacht in den Schuppen sperren?«, mischte ich mich ein. »Würde dir das helfen?«
    »Kümmer dich um
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