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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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enden, aber mit solchen Witzen ist es jetzt auch vorbei. Wie wir wohl das Baby genannt hätten, das Mam einen Monat nach dem Unfall verloren hat?
    Woran dachte Dad, als er an dem Laden vorbeilief? An die Kinderbuchreihe, an der er gerade arbeitete? Das war sein Beruf. Er hat Kinderbücher illustriert, eigene und die von anderen Leuten. Bücher für Lernanfänger und so was. Und er hat frei für Werbeagenturen gezeichnet, Logos für Firmen und Organisationen entworfen. Als wir noch kleiner waren, hat er auch bei Zeichentrickfilmen mitgearbeitet. »Charlie – Alle Hunde kommen in den Himmel« und »In einem Land vor unserer Zeit« haben wir hundertmal gesehen und nur darauf gewartet, dass im Abspann sein Name auftauchte. Danach machte er nur noch bei kleineren Zeichentricksachen mit.
    Vielleicht dachte er auch an eins der Zukunftsprojekte, über die er manchmal sprach. Eine Graphic Novel. Eine Reihe für behinderte Kinder. Kinderbücher ganz ohne Text, an denen er sich immer schon versuchen wollte. Das war Dad, wie wir ihn kannten. Immer den Blick nach vorn gerichtet, immer darauf aus, etwas anderes, Neues auszuprobieren. Wir wissen nicht, was ihm durch den Kopf ging, als er sich der Ecke näherte, wo man in unsere Straße einbiegt.
    Es ist komplett verrückt zu wissen, dass ich den Jungen auf dem Fahrrad noch gesehen habe. Von da an waren es noch dreißig Sekunden, bis unsere Welt in Scherben ging. Ich war in meinem Zimmer genau über Dads Arbeitszimmer. Es war der Abend der letzten Musicalvorstellung, die wir jedes Jahr an unserer Schule gaben, und ich war ein einziges Nervenbündel. Die letzte Vorstellung – es ist eine Gemeinschaftsproduktion mit der Jungenschule, in die mein Bruder geht – wird immer gefilmt und auf DVD aufgenommen, damit Eltern, die so was nötig haben, mitihren kleinen Lieblingen angeben können. Manche bedauernswerten kleinen Lieblinge geben damit sogar selber an. Was den Abend noch schlimmer machte, war, dass meine Eltern mitkommen wollten. Sie hatten schon früher kommen wollen und öfter, aber ich hatte es ihnen nicht erlaubt. Jetzt tut es mir leid.
    Ich weiß nicht, warum ich in genau dem Augenblick auf die Straße geschaut habe. Es war dunkel, und die Laternen leuchteten. Der Junge fuhr schnell und schaute über die Schulter zurück. Genau vor unserem Haus gibt es eine Bodenschwelle. Man hat in unsere Straße welche eingesetzt, nachdem vor ein paar Jahren irgendein bekloppter Raser am Ende der Straße in die Mauer des River Walk gebrettert war. Ich wusste, dass der Junge auf dem Fahrrad zu hart über die Schwelle fahren würde. Und er tat es. Und machte den Abflug über die Lenkerstange.
    Erst dachte ich, er wäre hinter jemandem her gewesen, aber die Panik, mit der er wieder aufs Rad kletterte, die gehetzten Blicke in die Richtung, aus der er gekommen war, deuteten eher auf das Gegenteil hin: dass jemand hinter ihm her war. Dann war er plötzlich verschwunden. Ich wartete ein paar Sekunden, um zu sehen, wer ihn da verfolgte, aber dann hörte ich in der Ferne Autobremsen quietschen, und weil danach kein lauter Knall zu hören war, dachte ich, er hätte sein frühes Ende noch mal haarscharf verpasst.
    So hab ich’s nach dem Unfall Mike Dunphy erzählt, und manchmal wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan. Andererseits: Ist es wirklich so wichtig, warum der Junge so schnell und rücksichtslos gefahren ist? Im Oktober bei der Gerichtsverhandlung muss ich als Zeugin aussagen. Sean istfast ausgerastet, als ich dem Detective Sergeant erzählte, was ich gesehen hatte. Oder was ich dachte, gesehen zu haben.
    »Klasse. Jetzt kann der kleine Scheißkerl die Schuld auf jemand anders schieben und ist aus dem Schneider.«
    Detective Sergeant Dunphy hat Sean dann wieder beruhigt. Er kennt Sean ziemlich gut. Sein Sohn Brian und Sean sind Sauf- und, glaube ich jedenfalls, Kiffkumpel. Sowieso kennt Detective Sergeant Dunphy sich mit Jungs im Kumpelalter aus. Er zieht sich wie die Cops in den Siebzigerjahre-Serien an und hat sich dafür den Spitznamen Starsky eingefangen. Bomberjacke aus Leder, das Hemd immer ein paar Knöpfe offen, weiße Sneakers und, genauso schlimm, weiße Socken. Seine Frisur hat er seit ungefähr 1975 nicht geändert.
    Clem Healy hat von Anfang an bestritten, dass ihn an dem Abend jemand verfolgt hat. Hab ich’s mir also nur eingebildet? Oder hat er so große Angst vor wem auch immer, der ihn verfolgt hat, dass er’s nicht sagen will? Es gibt Gerüchte, dass es um Drogen
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