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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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deinen eigenen Kram!«
    Das Benehmen von Tom selbst machte die Sache leider nicht besser. Er versteckte sich hinter Mam, und wenn er hinter ihr vorschaute, grinste er bis über beide Ohren. Dann kam Dad in die Küche, um zu sehen, was los war, und genau da holte Sean aus, um Tom eine zu knallen. Und »knallen« ist nicht übertrieben. Tom hatte gerade erst laufen gelernt, und ich weiß nicht, wie er es schaffte, stehen zu bleiben, so hart war der Schlag. Wie bei den meisten Brüdern und Schwestern kam bei uns schon mal ein Schubser vor, aber das hier war etwas vollkommen anderes. Es herrschte eine ungläubige Stille, als würden wir alle erst warten, dass Tom losschrie und uns davon überzeugte, dass wir uns das alles nicht nur eingebildet hatten. Es dauerte auch nicht lange, dann legte er los.
    Sean versuchte da schon, aus der Küche zu flüchten, aber Dad blockierte die Tür. Mam hob Tom hoch, und sein Geschrei verwandelte sich erst in ein Würgen und dann in ein heiseres Husten. Wenn er sich nicht bald beruhigte, würde er sich übergeben.
    »Lass mich durch!«, brüllte Sean. »Ich geh nach oben und mach meine Hausaufgeben zu Ende, okay?«
    »Fühlst du dich jetzt besser, Sean?«, fragte Dad.
    »Wie bitte?«, sagte Sean.
    »Nachdem du ein kleines Kind geschlagen hast – fühlst du dich da männlicher?«
    Sean versuchte sich an Dad vorbeizudrücken, aber Dad war noch nicht bereit, ihn durchzulassen.
    »Hab ich dich je geschlagen, Sean?«, fragte Dad.
    »Vielleicht hast du’s … als ich noch so ein kleiner Furz war wie er … vielleicht weiß ich’s nur nicht mehr.«
    »Du glaubst, dass du so was vergessen würdest?«
    »Lass mich raus, bitte!«
    »Niemand führt sich nur wegen einem Handy so auf«, sagte Dad. »Worum geht’s hier eigentlich?«
    »Um gar nichts.«
    Aber ich wusste es besser und konnte die Klappe nicht halten. Ziemlich mies von mir, ich weiß, aber es gab an dem Abend auch etwas, das an meinen Nerven zerrte: das Musical.
    »Es gibt da dieses Mädchen, das er toll findet«, verkündete ich. Das Mädchen, um das es ging, war meine beste Freundin Jill. »Und heute hat er rausgekriegt, dass sie mit seinem besten Freund geht. – Wie bescheuert bist du eigentlich, Sean?«
    Danach feuerte er noch ein paar Flüche in meine Richtung ab, dann fand er eine Lücke zwischen Dad und dem Türrahmen und ergriff die Flucht.
    »Ich kann’s nicht glauben, dass er so was tut«, sagte Mam. Sie war schon immer alarmiert, wenn es um Gewalt oder Aggression ging. Ich meine, das sind die meisten, aber Mam kennt das Elend, das daraus folgt, aus nächster Nähe, schon ihr ganzes Berufsleben lang. Ihren ersten Job hatte sie als Sozialarbeiterin in einem Frauenhaus.
    »Ich rede mit ihm«, sagte Dad.
    Was er auch tat. Wir waren schon alle im Bett, als das Gespräch in Seans Zimmer beendet war. Besser gesagt, als Dad mit Sean fertig war. Sean hat nie was erzählt, aber ich glaube, er hat die Standpauke nicht so gut aufgenommen. Am Morgen danach, dem Morgen des Tages, an demder Unfall passierte, war er schon weg, als Dad und ich nach unten kamen. Das ist es, was ihm jetzt zu schaffen macht.
    Mam versucht ihn seit Monaten dazu zu bringen, über den Abend zu reden, aber er weigert sich. Und sie macht sich Sorgen über seine düsteren Anwandlungen, darüber, dass er abends immer so spät nach Hause kommt und sogar mit dem Fußballspielen aufgehört hat, das bis zu dem Unfall das Wichtigste in seinem Leben war. Es vergehen ganze Tage, an denen er nicht aus seinem Zimmer herauskommt und nur noch seine blöden Fantasybücher liest oder die 2000 AD - und Judge-Dredd -Comics, die ihm Dad irgendwann gegeben hat. Seit Dad aus dem Koma aufgewacht ist, wollte Sean nie mehr mit ins Krankenhaus oder zum Rehazentrum. Er hat nicht zugesehen, wie Dad dafür gekämpft hat, dass er seine Sprache zurückbekommt. Wie er immer aufs Neue versucht hat, eine volle Gabel zum Mund zu führen. Sean hat nicht den stolzen Ausdruck auf Dads Gesicht gesehen, als er zum ersten Mal ohne Gehhilfe auf uns zulaufen konnte.
    »Ich kann’s gut, stimmt’s, Judy?«, sagte er zu Mam.
    Das sind wir jetzt für ihn: Judy und Eala, seine großen Schwestern oder weiß der Himmel was. Und die ganze Zeit haben wir das Spiel mitgespielt. Immer gut gelaunt. Haben ihn immer gelobt und ermutigt, auch dann, wenn er die Nerven verloren und sich schlecht benommen hat, weil er wegen irgendwas frustriert war. Es gab Tage, an denen er nicht mit uns reden, uns nicht mal ansehen
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