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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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versprochen! Ich schließe die Augen und beginne mich zu drehen. Ich drehe mich im Kreis, erst in die eine Richtung, dann in die andere, immer imKreis, bewege mich auf und ab und auf in einer Dunkelheit, die mir keine Angst macht, weil ich seine stille Anwesenheit spüre und weiß, dass ich nie fallen werde, solange ich nicht vergesse, dass er da ist und immer da sein wird. Ich drehe mich im Kreis und denke: Dad, lass Jimmy nichts Dummes tun! Lass ihn da draußen nicht frieren oder sich fürchten! Lass nicht zu, dass ihm noch Schlimmeres passiert, als ihm schon passiert ist! Lass nicht zu, dass er sich noch länger vor uns versteckt! Ich lasse den Stuhl austrudeln und warte, bis mein kreisendes Gehirn mit mir auf gleicher Höhe ist.
    Inzwischen hat sich draußen etwas verändert. Die Luft ist klarer, und es erklingen die Morgenstimmen. Die Vögel spielen verrückt und führen sich auf, als besäßen sie kein Gedächtnis und könnten gar nicht anders als lauthals singen, wo doch jeder neue Tag ein Wunder ist und jeder neue Himmel ein Fest aus Licht. Als ich das Licht in Dads Zimmer ausknipse und aus dem Fenster schaue, ist die Nacht dem Tag gewichen.
    Danach gehe ich hinunter in die Küche. Jeder sitzt oder steht noch da, wo er gesessen oder gestanden hat, was mir gespenstisch vorkommt, denn ich habe das Gefühl, Jahre weg gewesen zu sein. Oder nein, einer fehlt. Brian. Sean sieht mir meine Enttäuschung an. Er macht eine Bewegung, als würde er rauchen, und nickt in Richtung der Tür, die vom Wohnzimmer in den Garten führt. Ich wollte, Brian würde nicht rauchen, aber man kann wahrscheinlich nicht alles haben. Martin und Fiona lassen einander los. Ich gebe ihm den Pullover, und er zieht ihn über. Er ist ihm ein paar Nummern zu groß, und er lächelt Fiona verlegen an.
    »Ich mach uns Frühstück«, sagt sie und greift nach dem Wasserkessel.
    »Lass mich das machen!«, sagt er. »Du solltest nicht so lange auf den Beinen sein.«
    Irgendein Instinkt lässt mich auf ihren Bauch schauen. Es ist nichts zu erkennen, aber als ich sie fragend ansehe, nickt sie. Ich freue mich für die beiden.
    »Gibt’s einen Toaster?«, fragt mich Martin. Seine Wangen haben wieder ein bisschen Farbe. Oder eigentlich ganz schön viel. »Wir sollten was essen.«
    Ich hole den Toaster aus dem Fach neben dem Herd und das Brot aus dem silbernen Brotkasten. Was immer es für ein Tag werden wird, bereite dich darauf vor! , denke ich. Dann spüle ich Kaffeebecher. Das heiße Wasser wärmt die immer noch ein bisschen klammen Finger. Er ist schrecklich normal, dieser geschäftige, aber stille Beginn eines neuen Tages.
    Die Tür zum Garten schwingt knarrend ins Wohnzimmer. Der Kälteschock steht Brian noch ins Gesicht geschrieben. Oder nein, das ist nicht die Kälte. Ich rieche den Rauch und sehe, dass er die Zigarette noch zwischen den Fingern hat, obwohl er schon im Zimmer steht.
    »Was ist los?«, frage ich.
    »Jimmy ist nebenan. Ich hab ihn an einem Fenster im ersten Stock gesehen.« Er bemerkt seine Zigarette und sieht mich um Entschuldigung bittend an. »Die Hintertür zum Garten steht offen. Ich hab über die Mauer geschaut.«
    Stühle scharren. Mam, Sean und ich haben denselben Gedankenblitz, aber der hilft uns nicht, uns schneller zu bewegen. Uns wird ganz schlecht bei dem Gedanken, wie sehr Jimmy Mrs Casey hasst. Wir sind starr vor Schreck.
    »Soll ich gehen?«, fragt Martin.
    »Nein«, sagt Mam in zu scharfem Ton und schwächt ihn gleich wieder ab. »Nein, ich gehe. Es ist okay. Alles kommt in Ordnung.«
    »Ich geh durch die Hintertür und mach vorne auf«, sagt Sean.
    Sie nickt, und wir lösen uns aus unserer Erstarrung. Ich folge Mam durch den Flur. Als sie die Haustür erreicht, spüre ich Brians Hand auf meiner Schulter.
    »Willst du, dass ich mitkomme?«, flüstert er.
    »Lieber nicht«, sage ich. »Ruf deinen Dad an. Sag ihm … sag ihm, er soll kommen.«
    »Bist du okay?«
    »Ich hab gar keine Wahl, Brian. Ich muss es sein.«
    Ich muss mich beeilen, um Mam einzuholen. Als ich unsere Treppe hinunter bin, geht sie schon die zu Mrs Caseys Haustür hinauf. An deren Türklinke hängt eine Plastikeinkaufstüte. Von den Kieseln in unserer Einfahrt bis hoch zu den Dachziegeln von Mrs Caseys Haus ist die erwachende Welt mit Raureif überzogen, aber ich rutsche und schlittere nicht, obwohl ich so schnell laufe, wie ich kann. Gerade als ich die Treppe zu Mrs Caseys Haus erreiche, lässt Sean Mam ein. Dann höre ich sie rufen. Ihre Stimme
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