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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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Wahnsinn, später noch mal eine neue Identität annehmen zu müssen, weil man ihm sonst die Jahre im Gefängnis angekreidet hätte. Für mich ist es ein Wunder, dass er so viele Jahre durchgehalten hat, ohne dass man ihm auch nur eine Spur von Verbitterung oder Wut auf die Welt angemerkt hätte. Er hat es nicht zugelassen, dass so was unser Leben vergiftete. Wer braucht Superhelden, wenn er so jemanden zum Vater hat?
    Niemand schaut jetzt mehr den Film. Jimmy hat die Augen geschlossen. Tom ist auch müde. Sean schaut aus dem Fenster in die einsetzende Dämmerung. Aus der Küche hört man nichts, aber Mam ist noch nicht gekommen. Jimmy zuckt. Dann setzt er sich plötzlich auf und fingert an seiner Armbanduhr.
    »Alles in Ordnung, Jimmy?«, fragt Sean und schaut wieder aus dem Fenster, als gäbe es draußen was Spannendes zu sehen.
    »Scheiße, nein«, sagt Jimmy, und Tom zeigt mit dem Finger auf ihn und schüttelt den Kopf.
    »Hau ab, Scheiße noch mal!«, sagt Jimmy.
    »Seiße Jimmy«, sagt Tom und versucht, zur Küche zu flitzen, aber ich schnappe ihn mir.
    »Es ist gut, Tom«, sage ich. »Jimmy macht nur Spaß. Und das hässliche Wort sagen wir nicht mehr, okay?«
    Plötzlich hat Jimmy Tränen in den Augen. Er starrt Tom an, der ängstlich das Gesicht verzieht. Dann kommt Mam. Sie hat eine Hand zur Faust geballt und fest in ein Geschirrtuch gewickelt. Die andere presst sie gegen die Schläfe.
    »Ist der Film gut?«
    »Er ist Mist«, sagt Dad. Er steht zu schnell auf, und seine Augen irren durch den Raum. Die gespreizten Finger suchen tastend Halt an der Armlehne seines Sessels. »Alan muss nicht nach Limerick umziehen. Er darf im neuen Head-Up-Haus in der Stadt wohnen, warum darf ich das nicht?«
    »Wir haben auf der Fahrt darüber geredet«, sagt Mam. Sie ist so blass, dass die leichte Röte um ihre Augen wie seltsame Wimperntusche aussieht.
    Tom beginnt zu schreien.
    » Du hast geredet«, sagt Dad. »Aber du hast nicht zugehört.«
    Ich versuche, Tom zu beruhigen, aber er will zu Mam. Er läuft zu ihr, aber sie nimmt ihn nicht auf den Arm. Sean schaut wieder aus dem Fenster. Oder er findet das Spiegelbild dessen, was hier abgeht, leichter auszuhalten.
    » Das hier ist dein Zuhause, Jimmy«, sagt Mam. » Wir sind deine Familie, nicht Alan.«
    »Ich hab dir gesagt, dass ich nicht hierher zurückwill. Da kommt so ein Schmerz«, sagt Jimmy und schlägt sich so fest mit der Faust in den Magen, dass es mir wehtut. »JedesMal wenn ich hierherkomme, kommt der Schmerz da drin. Und in meinem Kopf. Ich gehör nicht in das Haus hier. Ich weiß nicht, warum, aber es bringt mich durcheinander. Ich komm mir vor wie …« Sein Gesicht verzieht sich zu einer verzweifelten Grimasse. »… wie ein Idiot. Als könnte ich nichts richtig machen, als gäb’s mit mir immer nur … Ärger. Wenn ich nicht hier bin, streitet ihr dann auch die ganze Zeit? Ja? Sag!«
    Dann klingelt es an der Tür, und Sean ist mit einem Satz vom Sofa aufgesprungen und an mir vorbei, und irgendwie muss es da einen Sog geben, denn ich weiß zwar nicht, warum, aber ich folge ihm. Draußen steht Clem Healy und schaut von unter seiner Kapuze zu uns auf. Er zittert vor Angst und wirft immer wieder Blicke über die Schulter. Seine Unterlippe zittert, als könnte er jeden Augenblick losheulen.
    »Was willst du?«, fragt Sean.
    »Kann ich reinkommen?«
    Er wischt sich die laufende Nase am Ärmel ab und tritt von einem Fuß auf den andern. Ich frage mich, ob er was von dem Pulver geschnupft hat, mit dem sein Vater handelt. Wahrscheinlich nicht. Seine Augen sind nicht unstet genug. Sie schauen eher traurig, so traurig, dass er einem fast leidtun könnte. Er hält einen MP3-Player fest, als wäre es alles, was er auf der Welt besitzt.
    »Kann ich Mr Summerton sprechen?«
    »Woher weißt du, dass er hier ist? Wie lange hast du unser Haus beobachtet?«
    »Nur ein paar Tage. War er irgendwo anders?«
    Ich sehe, wie viel Mühe es Sean kostet, seine Fäuste in Schach zu halten. Es zerreißt ihn fast. Clem sieht an unsvorbei. Vom Ende des Flurs starrt Mam ungläubig auf den Jungen, der unser aller Leben zerstört hat. Clem rutscht die Kapuze nach hinten und gibt seinen knochigen rasierten Kopf und seinen mageren Hals frei. Er scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass ich die Einzige bin, die ihm zuhört. Er hält mir den MP3-Player hin.
    »Ich konnt nicht kommen, als mein Dad noch da war«, erzählt er mir. »Der gehört Mr Summerton. Ich hätt ihn früher bringen
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