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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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Jimmy will«, sagte ich.
    »Was Jimmy will? Jimmy wollte den ganzen Tag dieses dämliche Wii-Spiel spielen. Er wollte mit seinen alten Kumpels Fußball spielen. Um Himmels willen, Eala, er wollte weg von hier und in diesem verdammten Moravia leben. Es geht darum, dass er weiß, was er will, aber nicht weiß, was gut für ihn ist.«
    »Er weiß, dass er hier nicht glücklich ist, nicht in dem Haus und nicht mit uns«, sagte Sean. »Das ist nicht sein Fehler und nicht unserer …«
    Sie tigerte durch die Küche, als hätte sie das Zentrum eines Labyrinths erreicht und könnte den Weg heraus nicht finden. Sie redete mit sich selbst, aber mehr nach innen. Man hörte es nicht, aber an ihrem ständig wechselnden Gesichtsausdruck sah man, was für Kämpfe sie mit sich ausfocht. Dann blieb sie stehen und starrte auf den Herd, als hätte sie irgendetwas bemerkt, was sie störte. Sie schaltete das Licht der Abzugshaube ein. Es funktionierte nicht. Es funktionierte schon seit Jahren nicht mehr.
    »Himmelherrgott, wie oft hab ich ihm gesagt, dass er dasreparieren soll!«, sagte sie. »Wie gottverdammt oft! Aber nein, er hat es nicht repariert, natürlich nicht. Heute Abend vielleicht, oder morgen, oder nächste Woche. Wenn der Film fertig ist, oder wenn ich mit Peter, dem verfluchten Panzer, fertig bin oder diesem oder jenem …« Sie schlug von unten gegen die Abzugshaube, einmal, zweimal. »… Scheißkerl! Verlogener, geheimnistuerischer Scheißkerl!«
    »Er war immer gut zu uns«, sagte ich. »Daran wird sich nie was ändern.«
    Sie landete noch einen Schlag, und die Abdeckung über den kleinen Lämpchen der Abdeckhaube fiel herunter. Zum Glück ging nicht das Keramikkochfeld kaputt, aber die Haut über Mams Fingerknöcheln war an ein paar Stellen aufgeplatzt. Mir kam alles Mögliche in den Sinn, was ich hätte sagen können, auch wenn nichts wirklich Gescheites dabei war. Möchtest du eine Tasse Tee, Mam? Oder ein Glas Wein? Ich geh morgen neue Birnen kaufen, vielleicht reicht das. Warum gehen wir nicht ins Wohnzimmer, machen Feuer im Kamin und schauen uns einen Film im Fernsehen an? Aber bis ich den Kloß aus dem Hals hatte, war sie eh aus der Küche und auf dem Weg nach oben.
    Jetzt stehe ich im Bernabéu und schaue hinauf zum Mond. Er ist nur noch einen Hauch vom Vollmond entfernt. Das Licht aus dem Küchenfenster malt ein schmales Rechteck auf den Rasen. Mittendrin liegt ein weißer Plastikfußball, als würde er darauf warten, dass etwas passiert.

34
    »Na, Jimmy?«
    »Alles klar?«
    »Ich hab dich vermisst.«
    Seine Haare sind geschnitten, ordentlich, aber nicht zu kurz. Er trägt ein silbergraues Hemd über einem Real-Madrid-Trikot. Ich küsse ihn auf die Wange und umarme ihn. Er wehrt sich nicht gerade, aber es ist, als wünschte er sich, dass ich ihn bald loslasse. Er setzt sich aufs Sofa und kramt ein gebrauchtes Papiertaschentuch aus der Hosentasche. Er will sich damit die Wange abwischen, dann zögert er.
    »Judy hat erzählt, dass du erkältet warst«, sagt er. »Hoffentlich hast du mich jetzt nicht angesteckt.«
    »Natürlich nicht«, sagt Mam. »Sie ist längst wieder gesund.«
    Er ändert seine Absicht, meinen Kuss wegzuputzen, und steckt das Taschentuch wieder ein. Von irgendeinem Gedanken abgelenkt seufzt er, aber ein langes Gähnen bringt ihn zu uns zurück. Zu mir.
    »Du bist ganz schön dünn geworden, weißt du das?«
    »Danke, Jimmy. Ich nehm’s als Kompliment.«
    Sean lacht nervös und eine Oktave zu hoch. Tom lacht, weil Sean lacht. Mam und ich lächeln nervös. Der Fernseher ist nicht eingeschaltet, aber Jimmy schaut trotzdemhin. Es ist ihm offensichtlich lieber, als uns anzuschauen. Im Kamin liegt nur Asche. Wir beruhigen uns wieder und sind alle verlegen. Dann setzen wir uns alle gleichzeitig in Bewegung.
    »Okay«, sagt Mam. »Kümmern wir uns ums Abendessen!«
    »Ich hab eine neue DVD für dich, Jimmy«, sagt Sean. »›Avatar‹ – schon gesehen?«
    »Nein.«
    »Ich hol sie gleich.«
    »Muss Pipi! Pipi ’nell!«, kräht Tom.
    »Ich bring dich«, sage ich. Anders als Mam und Sean hatte ich bis dahin keinen Plan, wo ich hinwollte. »Aber du hältst es so lange an, okay?«
    Ich bin mit Tom schon halb im Bad, als mir klar wird, dass wir Jimmy allein im Wohnzimmer gelassen haben. Dann höre ich Stimmen. Er hat den Fernseher eingeschaltet. Die Stimmen werden leiser, und es beginnt der Wechsel der Kanäle. Fetzen von Musik, Gespräche, Soundeffekte – es könnten auch Bruchstücke von
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