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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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sehen, trotzdem spüre ich, dass er sie gerade vor sich sieht. Ich weiß nicht, wohin das jetzt führen soll, aber ich weiß, dass es dort etwas geben muss, das zählt.
    »Eala ist das irische Wort für Schwan«, erkläre ich ihm.
    »Er wollte aufstehen, und ich hab seinen Kopf gehalten und gesagt: ›Nicht bewegen! Sie dürfen sich nicht bewegen!‹, aber er hat’s immer weiter versucht. ›Eala singt heute Abend‹, hat er gesagt. ›Eala singt heute Abend.‹ Ich hab nicht gewusst, was das heißen soll. Dann ist er ohnmächtig geworden, und eine Frau ist gekommen und hat geschrien: ›Du warst schuld, ich hab’s gesehen!‹, und da bin ich abgehauen.«
    Ich bringe kein Wort heraus, und Clem denkt, ich verachte ihn dafür, was er getan hat.
    »Ich kann nichts dafür, Eala«, sagt er. »Sham war hinter mir her, weil ich was zu billig verkauft hatte. Hab die Preise verwechselt und fünfzehn genommen statt fünfzig.«
    Ich kann immer noch nichts sagen, und Clem dreht sich um und geht. Von der Straße schaut er noch mal zu mir her. Ich hebe die Hand und bekomme ein zaghaftes Winken zurück. Wie betäubt gehe ich die Stufen zur Haustür hinauf und sage mir, dass ich diejenige war, an die Dad zuletzt gedacht hat, und dass das genau die Art Kleinmädchengeheimnisist, von dem ich dachte, dass es damit für immer aus sei, die Art Geheimnis, das man für immer bewahrt.
    Mam und Sean stehen immer noch im Flur. Jetzt sind wir zu dritt. Ich bei der Haustür, Sean am Übergang zum Wohnzimmer und Mam bei der Tür zur Treppe ins Souterrain. Tom hat den Kopf auf Mams Schulter gelegt und die Augen geschlossen. Er atmet tief Mams Duft ein und nimmt ihn mit in den Schlaf.
    Ich möchte zu Jimmy hinunter. Sean schaut in Richtung Mam, und ich ahne, dass er dasselbe vorhat. Aber wir alle wissen, dass es Mam ist, die runtermuss und eine Entscheidung treffen. Von draußen dringen die schaurigen, beinahe menschlichen Klagelaute einer Katze herein. Ich gehe zu Mam und hebe die Arme, um ihr Tom abzunehmen. Ich spüre, wie die Zeit mir die Arme wieder nach unten drücken will, und eine Sekunde wiegt schwerer als die andere. Sie legt mir Tom an die Schulter und geht die Treppe hinunter. Ich höre unten die Tür aufgehen und ihre sanfte Stimme.
    »Jimmy?« Keine Antwort. »Jimmy? Wo …« Ich höre, wie sie durchs Zimmer geht, dann durch die Tür zu seinem Bad und einen gepressten Schrei.
    »Kommt runter! Er ist weg! Er ist weg!«

35
    Die Küche ist nicht mehr so voll, und es ist ruhiger geworden. Es ist Viertel vor fünf morgens, und wir warten, dass es hell wird und wir weitersuchen können. Mam sitzt am Kopfende des Tisches, und ich sitze neben ihr. Sie hat den Telefonhörer in der Hand. Wir schauen beide auf die Tischdecke, als erwarteten wir beide, dass eine Art Karte auf dem schneeweißen Leinen erscheint. Es stehen noch viele Stühle am Tisch, aber außer uns hat sich niemand hingesetzt. Sie halten sich von Mam fern, glaube ich, obwohl sie seit gut einer halben Stunde nicht mehr explodiert ist. Wir waren alle mit den Nerven am Ende, auch Starsky, als er noch hier war. Aber er hat es gut weggesteckt, das muss man ihm lassen. Brian stand mit Sean an der Spüle und wusste nicht, wo er hinschauen sollte, als es zwischen Mam und Starsky zur Sache ging. Er steht immer noch dort.
    »Ich hab alle Streifenwagen angefordert, die wir von den Straßen abziehen konnten«, sagt Starsky. »Wir suchen jede kleine Seitenstraße ab, jedes leer stehende Haus, die Fabriken und …«
    »Und warum hockst du hier herum?«, sagte Mam. »Warum sitzen wir hier herum?«
    »Wir können nicht die ganze Nacht hindurch suchen, Judy.«
    »Aber da draußen ist es kalt«, schrie sie. »Weißt du nicht, wie beschissen kalt es da draußen ist?«
    Und es ist kalt. Minus zwei Grad zeigte die Außentemperaturanzeige von Martins Mercedes, als ich mit ihm unterwegs war. Wir fuhren zu seinem Haus in der Friary Street. Martin benutzte einen Schraubenschlüssel, um das Vorhängeschloss am Tor zu knacken. Nein, zu demolieren. Als er merkte, dass sein Schlüssel nicht mehr passte, trat er auch noch die Haustür ein, und wir gingen durch die leeren Räume, in denen unsere Stimmen widerhallten.
    Danach fuhren wir zum Golfclub, weil dort der River Walk zu Ende ist. Vom Parkplatz leuchtete er mit den Autoscheinwerfern über das gesamte Grün, dann fuhr er zum Tor am anderen Ende und versuchte es von dort noch mal. Ich hätte wissen müssen, dass es pure Zeitverschwendung war, aber
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