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Jimmy der Mops

Jimmy der Mops

Titel: Jimmy der Mops
Autoren: Miriam Pharo
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Knopf im Ohr, reißt mich aus meiner Betrachtung heraus. „ APC-Analyse von Papier und Tinte abgeschlossen.“
      Der darauf folgende Bericht wartet mit einer kleinen Überraschung auf: Das Papier ist sehr alt und stammt aus der Zeit um 1880, vor allem aber weist es jede Menge DNA-Rückstände auf. Begierig über diesen Pool an Möglichkeiten gehe ich die Liste durch. Namen liefert das Programm nicht, dafür aber Jahreszahlen und ich werde in meiner Euphorie gebremst. Ich muss blinzeln. Die Bewohner von Sphäre5 mögen zwar ihre beste Zeit hinter sich haben, doch einen hundertachtzigjährigen Greis – der Junior auf der Liste – werde ich sogar hier schwerlich finden. Etwas enttäuscht lehne ich mich in meinem Sessel zurück. Das wäre auch zu einfach gewesen. Nach einer kurzen Pause wende ich mich der Tinte zu. Die königsblaue Paste ist gut hundertfünfzig Jahre jünger als das Papier und wurde, wie alle Tintenarten aus dieser Epoche, am Schwarzen Meer hergestellt.
      Erneut halte ich inne und überlege. Alles in allem neigt der Schreiber zu Konservativismus, was auf die meisten hier zutrifft. Das Papier ist ein Vermögen wert, also geht es um einen tief gehegten Groll. Ich bin noch nicht lange hier, aber ich weiß, dass es drei Dinge gibt, bei denen die Sphärenbewohner wenig Spaß verstehen: Bonität, äußere Erscheinung und innere Sicherheit. Ich schaue mir die Botschaft näher an:
     
     
    Sei willig, brüll‘ bis vier,
    tust du‘s nicht, dann explodier‘.
    Wenn dir dein erbärmliches Leben teuer ist,
versuche nicht,
    den Bolzen zu entfernen.
     

  Die erste Zeile kommt mir entfernt bekannt vor. Ein kurzer Blick in der GCS bestätigt meine Vermutung. Da hat jemand Wilhelm Buschs bekannten Vers „Sei wütend, zähl‘ bis vier, tust du’s nicht, dann explodier‘“ kurzerhand umgedichtet. Die vertraute Anrede zeugt von mangelndem Respekt, das „erbärmlich“ spricht eine klare Sprache. Die Wortwahl „teuer“ statt „lieb“ lässt mich aufhorchen. Vielleicht hat Jimmy einen Kunden oder Bekannten geprellt. Routinegemäß gehe ich Buschs Biographie durch, ohne jedoch eine erkennbare Verbindung zu finden, also beschließe ich, dem Leopold einen Besuch abzustatten.
      Beim Hinausgehen verriegele ich die transparente Eingangstür meiner Parzelle, die sich daraufhin automatisch verdunkelt und lasse mit einem dumpfen Gefühl des Versagens meinen Blick über die goldene Inschrift schweifen. „Lucio Verdict. Problemlöser“, steht da in schlichten Lettern. Problemlöser . Ich nehme an, Elias Kosloff hätte die Bezeichnung „Ausputzer“ bevorzugt ...
      Die Nachbarbüros werden von einer stark schwitzenden Advokatin, einem cholerischen Spediteur und anderen interessanten Gestalten bevölkert. Bis dato hat mir mein perfektes Lächeln dort wenig Sympathiepunkte eingebracht und als ich an ihren offenen Türen vorbeischlendere, sonne ich mich in widerwilliger Bewunderung.
      Sphäre5 ist wie eine Käseglocke, die von einem mächtigen Wall umschlossen wird, nur dass hier nicht Schimmelkäse und Gouda verderben, sondern Menschen. Der äußere Gürtel, in dem vorzugsweise Industrie und Gewerbe untergebracht sind, erinnert optisch an die geflochtene Lehne eines altmodischen Plastiksessels. Das aufgeblähte Dach ist von einem farbigen Polymerstreifen durchbrochen und während ich den Gang hinuntergehe, zeichnet die senkrecht strahlende Sonne eine Linie auf dem Boden. Ein kreischbunter Wegweiser in die   Unendlichkeit.
      Durch eine der zahlreichen Passagen dringt Stimmengewirr an mein Ohr. Ich löse mich von der hypnotischen Linie, gehe dem Geräusch nach und gelange so auf die vordere Galerie, wo sich Menschenmassen drängen, um in den zahllosen 24/7-Restos und Geschäften ihr Geld zu verprassen. Im Vorübergehen mache ich einen Krämerladen aus, der vorgibt, Antiquitäten zu verkaufen, sowie eine große !NR ! Filiale. In den Isar Auen ist die Marke !NR ! des Topdesigners Nathan Rehm der Renner. Kaum jemand, der nicht mindestens ein gebrandetes Retrofit trägt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass !NR ! für I.N.R.I. steht – Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum . Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren verkommt das Christentum in der Europäischen Föderation zur Bedeutungslosigkeit. Einer Kirche offen anzugehören, ist in diesem Teil der Welt verpönt, doch so leicht brechen die Menschen nicht mit alten Gewohnheiten, und wo früher einmal silberne Kreuze   die Hälse der Gläubigen geschmückt haben, sind es
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