Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
1
    Sie nimmt als Erstes das Grollen des Donners und einen ekelhaften Gestank nach menschlichem Kot wahr. Der Schmerz breitet sich im gleichen Maße in ihr aus, wie das Bewusstsein wiederkehrt. Heftig und stechend zwingt er sie zur Klarheit. Die Dunkelheit ist beinahe undurchdringlich. Über ihrem Kopf tanzt Licht wie ein schmaler Nebelstreifen. Wirklich über ihrem Kopf? Sie ist sich nicht sicher. Es bereitet ihr Schmerzen, sich auf den Lichtstreifen zu konzentrieren. Kriminalinspektorin Maria Wern macht einen Versuch, sich auf dem harten Zement aufzurichten, und übergibt sich. Die Bewegung schmerzt sie wie ein Schlag mit der Axt auf den Hinterkopf. Alles um sie herum dreht sich, bewegt sich wie in einem Blitzlichtgewitter auf und ab. Sie versucht, sich vorsichtiger zu erbrechen, ohne aufstoßen zu müssen. Im Mund brennt bittere Galle. Vorsichtig hebt Maria den Arm und streicht sich über den hämmernden Kopf. Die Hand wird feucht. Sie hält sich den Finger unter die Nase. Erkennt den Geruch des Blutes. Der Magen zieht sich zu einem neuen Krampf zusammen. Der Kopf explodiert, und sie fällt in das schützende Dunkel zurück.

    Wie lange war sie bewusstlos? Sie weiß es nicht. Zwei Minuten? Vielleicht stundenlang? Der Regen trommelt laut, aber nur einzelne Tropfen fallen auf ihr Gesicht. Eine feuchte Kühle erfasst ihren Körper. Die Dunkelheit ist jetzt undurchdringlich. Maria reibt ihre Augen. Versucht in der totalen Finsternis, die sie umgibt, Konturen zu erahnen. Der Gestank ist unerträglich. Sie strengt sich an, sich zu erinnern. Das Chaos in ihrem Inneren zu ordnen. Sie weiß nicht, wo sie sich befindet. Angst beschleicht sie und windet sich wie eine glitschige Schlange den Rücken hinauf. Bilder von Krister und den Kindern kommen ihr in den Sinn, lassen sich aber nicht in einen Zusammenhang bringen. Sie werden von der Bedrohung weggewischt. Das Gefühl einer bevorstehenden Katastrophe wächst. Etwas, was sie vielleicht verhindern kann. Aber sie weiß nicht, was es ist.
    Maria lässt die Hand über den Boden gleiten. Der fühlt sich kalt und rau an, wie Beton. Krister und die Kinder, wo sind sie? Wo ist sie selbst?
    »Hallo! Hilfe, ist dort jemand?« Maria strengt die Stimme bis aufs Äußerste an. Der Ton, ein krächzender Laut, wird von den kalten unnachgiebigen Wänden verschluckt. Wie ist sie in dieses stinkende Gefängnis geraten?
    »Hallo!« Vorsichtig streckt Maria ihre rechte Hand in der Dunkelheit aus und stößt gegen eine Wand aus Stein oder Beton. Sie spürt einen starken Druck auf die Blase, schafft es aber nicht aufzustehen. Ihre Hände tasten über ihren Körper, vorsichtig versucht sie festzustellen, ob etwas gebrochen ist. Die Wunde an ihrem Hinterkopf ist klebrig. Das Haar fühlt sich zwischen den Fingern steif an. Sie friert.
    »Hilfe! Helft mir doch!« Draußen trommelt der Regen. Wellen brechen sich am Strand. Sie splittern wie Holzstücke an Steinen oder einem Bootssteg. Ruhelos. Das Grummeln des Donners verschluckt ihre Stimme. Krister und die Kinder, sind sie in Sicherheit? Maria kann nichts von dem, was mit ihr geschehen ist, rekonstruieren. Ein Donnerschlag lässt die Luft vibrieren. Ein Blitz flimmert durch einen dreigeteilten Spalt über ihr. Sekundenlang kann Maria ihr Gefängnis sehen. Sie hat das Gefühl, als ob sie sich in einem Bunker befindet. Links neben ihr liegt ein großes schwarzes Bündel auf dem Boden. Ein Mensch? Mit angehaltenem Atem wartet Maria auf den nächsten Blitzschlag. Der Donner entfernt sich immer mehr. Eine Ewigkeit vergeht, bis ein neuer Blitz aufleuchtet, aber er ist viel zu schwach, um den dunklen Raum zu erhellen. Krister? Ist das Krister oder nicht? Maria streckt ihre linke Hand aus. Fühlt den Körper durch den Stoff, tastet nach dem Arm.
    »Krister!« Sie findet seine Hand. Drückt sie ganz fest. »Krister, wo sind die Kinder? Wo sind Emil und Linda?« Die Hand ist so kalt. »Du musst aufwachen, Krister!« Maria versucht angestrengt, sich näher an ihn heranzuschieben. Versucht sich aufzurichten und mit der Hand über sein Gesicht zu streichen, ihn zu wecken. Er muss aufwachen! Muss aufwachen und erzählen, was geschehen ist. Die Kopfschmerzen sind unerträglich, lassen sie an nichts anderes denken. Zwingen sie, sich wieder mit der Wange auf den kalten Boden zu legen. Der Brechreiz drückt im Hals, kriecht unter die Haarwurzeln. Maria bekommt etwas zwischen die Finger. Es knirscht, wenn sie den Zeigefinger gegen den Daumen drückt, sie spürt ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher