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Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)

Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)

Titel: Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)
Autoren: Annie West
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PROLOG
    „Du kannst uns nicht retten!“ Der heisere Schrei hallte in Declans Ohren wider. Mühsam richtete er den Blick in die Tiefe, wo unter ihm sein Bruder Adrian am Seil baumelte. „Es wird reißen!“
    Sie schwebten in hundert Metern Höhe über dem Abgrund einer einsamen Schlucht. Der Wind frischte auf, und Adrian verlor allmählich die Nerven. Mit seiner Panik hatte er bereits dafür gesorgt, dass sich einer der im Felsen verankerten Haken gelockert hatte.
    „Halt durch“, keuchte Declan. Seine Lunge drohte zu bersten, so viel Kraft hatte ihn sein letzter Versuch gekostet, sie beide hochzuziehen.
    Er reckte den Hals und sah zu der Stelle hinauf, von der sie abgestürzt waren. Eine Lawine kleiner Geröllsplitter prasselte auf sein Gesicht nieder, seine Kehle brannte wie Feuer bei jedem Atemzug.
    Hätte er seinen Bruder doch nur von dieser Kletterpartie abgehalten! Doch Adrian hatte so wild entschlossen gewirkt, dass er es nicht über sich gebracht hatte, ihn allein gehen zu lassen. Außerdem hatte er gehofft, eine gemeinsame Bergtour würde sie einander wieder näherbringen.
    Nun hing ihrer beider Leben am seidenen Faden.
    „Ganz ruhig, Ade. Alles wird gut.“
    „Gut?“ Adrians Stimme klang schrill. „Lüg mich nicht an.“
    Declan warf ihm einen beruhigenden Blick zu. „Gerade hätte ich es fast geschafft. Aller guten Dinge sind drei, wart’s ab.“
    Er biss die Zähne zusammen, packte das Seil und zog sich millimeterweise hoch. Schmerzhaft gruben die rauen Fasern sich in seine wunden Handflächen, doch er zwang sich, nicht laut aufzuschreien. Schultern und Nacken steif vor Anspannung, versuchte er, sich und seinen Bruder in die Höhe zu hieven. Das Gewicht, das an ihm zerrte, drohte ihm das Rückgrat zu brechen.
    „Das schaffst du nie. Unmöglich!“
    Er war viel zu sehr außer Atem, um etwas zu erwidern.
    „Aber vielleicht ist das gar nicht so schlimm.“ Er konnte seinen Bruder jetzt kaum noch verstehen, so laut rauschte das Blut in seinen Ohren. „Ein Absturz ist ein schneller Tod.“
    „Du …“, stieß Declan mühsam hervor, „… stürzt … nicht … ab.“
    „Ich habe schon öfter mit dem Gedanken gespielt. Einmal kurz das Steuer herumreißen, frontal einen Lkw rammen, und alles wäre vorbei.“
    Schleppend und kaum verständlich drang Adrians Stimme zu ihm durch, überlagert vom hämmernden Schlag seines Herzens und dem brennenden Schmerz in seinen Händen. Der Schweiß, der ihm in die Augen rann, nahm ihm die Sicht.
    „Es gibt nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt.“ Die Worte waren kaum mehr als ein Hauch im Wind. Declan war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Vielleicht halluzinierte er ja schon vor Schmerzen.
    „Ich habe sie verloren. Sie will einen reichen Siegertypen wie dich, keinen Versager. Sie hat mich abserviert.“
    „Abserviert?“ Declans Stimme war ein heiseres Flüstern.
    Er musste eine Pause einlegen, bevor er sich die Schultern ausrenkte. Seine Welt bestand nur noch aus dem rauen Seil, das ihm die Hände bis auf die Knochen aufrieb, seinen qualvoll gezerrten Muskeln und Sehnen und dem leisen, verstörenden Monolog seines Bruders im Hintergrund. Irgendetwas daran beunruhigte ihn zutiefst, doch er war zu erschöpft, um darüber nachzudenken.
    Ein scharfer Windstoß versetzte das Seil in Schwingungen.
    Declan schmeckte Salz und Blut auf seinen Lippen. Noch zwei Meter …
    „Ich kann nicht mehr. Ich hab’s versucht, aber sie ist die einzige Frau, die ich liebe. Und sie hat mich betrogen. Es ist besser so.“
    Besser so? Declan spürte, wie das Seil ruckte. Obwohl sein sonnenverbrannter Körper schweißgebadet war, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter.
    „Adrian?“
    Mühsam lockerte er seine verkrampften Nackenmuskeln, beugte den Kopf und sah direkt in die vertrauten grauen Augen seines Bruders. Es lag keine Spur von Panik mehr darin, nur eine unheimliche Ruhe, die ihn schaudern ließ.
    „So hat wenigstens einer von uns eine Chance. Ich kann ohne sie nicht leben.“
    Jetzt erst bemerkte er, dass Adrian wie besessen an dem Seil säbelte, das sie beide verband.
    „Adrian, nein !“
    „Lebe wohl, Declan.“
    Die Last, die auf seinen Schultern lag, war plötzlich nicht mehr da. Es war kein Laut zu hören, kein Schrei, nichts. Sekunden wurden zur Ewigkeit, bis irgendwann das gedämpfte Knacken von Zweigen aus der Tiefe zu ihm heraufdrang und er seinen Bruder aus den Augen verlor.

1. KAPITEL
    Mit einem Stapel flauschiger Frotteetücher auf den
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