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Jimmy der Mops

Jimmy der Mops

Titel: Jimmy der Mops
Autoren: Miriam Pharo
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hängt, lasse ich meine Jacke zurück, bevor ich auf die breite marmorne Treppe mit den goldenen Verzierungen in der Mitte der Halle zuschreite. Wieder unterbreche ich Regency , um mich zu vergewissern, dass die Treppe wirklich existiert und ich nicht ins Leere trete. Ein absurder Reflex, aber ich kann nicht anders. Verblüfft muss ich feststellen, dass der ausschweifende Luxus um mich herum Fakt ist, deshalb beende ich fürs Erste das Virtual-Environment-Programm. Das Restaurant im ersten Level ist hell erleuchtet und schwirrt von heiterer und zusammenhangloser Konversation. An den Wänden hängen vergilbte Magazinseiten mit Fotos von deutschen Leinwandstars aus der längst vergangenen Ära des 2-D-Films mit Vornamen wie Til, Moritz oder Veronica, die außerhalb der Biosphären niemand mehr kennt. Einige der in Seide rauschenden Gäste speisen an Tischen, die von Silber und Porzellan nur so funkeln, andere sind um ein Buffet versammelt und nippen an ihren Gläsern. Als passionierter Koch, der ich bin, erkenne ich auf Anhieb hausgemachtes Birchermüsli, Avocado-Aufstrich und Stockfisch in Senfcrème . Sehnsüchtig denke ich an die letzten Monate zurück, als ich bei einem Millionär in Hanseapolis anstellig war und dort die teuersten Nahrungsmittel verarbeiten durfte. Und das in einer Stadt, in der gewöhnlich die Massen mit billigen Proteinriegeln und Algengratin abgespeist werden.
      Durch eine Flügeltür rechts von mir erblicke ich einen kleinen Salon, der sofort geschlossen wird, als man meiner ansichtig wird. Etwas unschlüssig bummle ich herum, als sich mir eine spindeldürre Frau in einem fliederfarbenen Hosenanzug in den Weg stellt. Sie hat eine Haut wie Alabaster, dünne blutleere Lippen und einen harten Blick. In das graue Haar hat sie nach der neuesten Mode ein lila Tuch aus Gaze geflochten. Als ihre Augen beifällig über meine Erscheinung schweifen, frohlocke ich. Die erste Hürde wäre genommen.
      „Kann ich Ihnen behilflich sein, Herr …?
      „Verdict. Lucio Verdict. Ich möchte den Supervisor sprechen.“
      „Ich bin Lena Wittgenstein“, kommt es schroff zurück, als ob damit alles erklärt sei. „Was kann ich für Sie tun?“
      „Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Ich werde Sie auch nicht lange behelligen.“ Ich setze ein elfenhaftes Lächeln auf. „Gestern Abend gegen neun Uhr hat einer Ihrer Gäste beim Verlassen Ihres Etablissements versehentlich das Monokel meines Klienten eingesteckt. Der Herr hatte lange, weiße Haare und trug einen gelb-orange gestreiften Anzug mit dunkelroter Halsbinde. Mein Klient ist über den Verlust seines Kommunikators sehr betrübt. Vielleicht können Sie mir helfen, den Herrn ausfindig zu machen, damit ich die Affäre schnell und ohne Aufsehen bereinigen kann.“
      „Das wird jemanden wie Sie vielleicht nicht interessieren, aber in unserem Haus herrscht Diskretion.“  
      „Selbstverständlich“, gebe ich mich zuvorkommend. „Aber bedenken Sie bitte, dass der Geschädigte ein ehrenwerter Gast Ihres Hauses ist.“
      „Wer ist der Unglückselige?“
      „Jimmy Marquard.“
      „Dieser Haarfledderer?“ Ihrem Ton nach zu urteilen hält sie Jimmy für eine Lebensform, die knapp über einer Kakerlake rangiert. „Man kann ihn wohl kaum als ehrenwerten Gast des Leopold bezeichnen!“
      „Und doch darf er hier speisen.“
      Kurzes Schnauben, aber keine Antwort.
      „Welchem Gönner verdankt er dieses Privileg?“
      Ein argwöhnischer Blick trifft mich.
    „Ich verstehe. Diskretion.“ Obwohl ich die Antwort bereits kenne, kann ich mir die folgende Frage nicht verkneifen. „Darf ich den gestrigen Video-Stream des Eingangs einsehen?“
      Die Empörung steht der Gegenseite deutlich ins Gesicht geschrieben und ich beschließe, noch einen drauf zu setzen.
      „Das braucht doch niemand zu erfahren“, flüstere ich und ziehe den Siegelring von meinem Finger, um ihn unauffällig zu überreichen.
      Mit zusammengekniffenen Augen beugt sich Lena Wittgenstein nach vorne, bis sich unsere Nasen beinahe berühren. Ihr Parfum drängt sich mir gnadenlos auf und ich kann ein Niesen nur mit Mühe unterdrücken.
      „Wagen Sie es nicht, mich zu beleidigen, Sie miese, kleine Ratte!“, entgegnet sie mit gefährlich leiser Stimme. „Oder dieses respektable Haus. Wenn Sie nicht sofort die Biege machen, rufe ich die Security!“
      Interessante Wortwahl für die Leiterin eines altehrwürdigen Privatklubs. Ich stecke den Siegelring
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