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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika
Autoren: Tania Blixen
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hatten Verbindung mit ihm gehalten und ihm ihre Photographien geschickt, die er unten in seiner kleinen Wellblechhütte bei der Aufbereitung aufbewahrte und mir mit Stolz und Zärtlichkeit zeigte. Ich bekam mehrere Briefe von Pooran Singh, schon von Bord des Schiffes nach Indien. »Liebe Herrin, lebt wohl«, begannen sie alle, und dann folgte ein Bericht von seinem Befinden und den Erlebnissen seiner Reise.
     
    Eine Woche nach Denys’ Tode erlebte ich eines Morgens etwas Merkwürdiges.
    Ich lag im Bett und dachte an die Begebenheiten der vergangenen Woche und versuchte, den Sinn dessen zu begreifen, was geschehen war. Mir schien, ich wäre irgendwie aus der gehörigen Bahn menschlichen Daseins hinaus in einen Mahlstrom gezogen, in den ich nie hätte geraten dürfen. Wo ich hintrat, wich der Boden, und die Sterne fielen vom Himmel herab. Ich dachte an das Gedicht von Ragnarök, in dem dieses Fallen der Sterne beschrieben ist, und an die Verse von den Zwergen, die in ihren Berghöhlen seufzend sitzen und sterben vor Furcht. All das, sagte ich mir, kann nicht ein zufälliges Zusammentreffen von Umständen sein, was die Leute eine Pechsträhne nennen, im innersten Kern muß ein Sinn sein. Wenn ich ihn fände, wäre ich gerettet. Wenn ich in die rechte Richtung blicke, meinte ich, muß mir der Zusammenhang der Dinge klarwerden. Ich muß aufstehen, sagte ich mir, und nach einem Zeichen ausschauen.
    Viele Menschen finden es unvernünftig, nach einem Zeichen auszuschauen. Das rührt daher, daß es dazu eines bestimmten Gemütszustandes bedarf und daß nicht viele Menschen sich überhaupt je in diesem Gemütszustand befinden. Sucht man in der rechten Stimmung nach einem Zeichen, dann kann die Antwort nicht ausbleiben, sie stellt sich als natürliche Folge der Fragestellung ein. So greift auch ein feinfühliger Kartenspieler dreizehn beliebige Karten vom Tisch und hat damit, was man eine Hand nennt, eine Einheit. Wo jeder andere ratlos passen würde, sieht er den großen Schlemm handgreiflich vor Augen. Steckt also der große Schlemm in den Karten? Freilich, für den richtigen Spieler.
    Ich trat aus dem Hause, nach einem Zeichen auszuschauen, und schlenderte aufs Geratewohl den Gesindehütten zu. Die Boys hatten gerade ihre Hühner ins Freie gelassen, und sie liefen zwischen den Hütten hin und her. Ich blieb stehen und sah ihnen eine Weile zu.
    Fathimas großer weißer Hahn stolzierte auf mich zu. Plötzlich blieb er stehen, legte den Kopf erst auf die eine Seite und dann auf die andere und steifte seinen Kamm. Von der anderen Seite des Weges kam aus dem Grase ein kleines Chamäleon, das, wie der Hahn, auf seinem morgendlichen Erkundungsgang begriffen war. Der Hahn schritt stracks darauf zu – denn Hühner töten und fressen derlei Getier – und stieß ein paar Gluckser der Befriedigung aus. Das Chamäleon erstarrte, vom Anblick des Hahnes gebannt. Es hatte Angst, aber es war zugleich sehr tapfer, es pflanzte seine Füßchen stramm auf den Boden, öffnete sein Maul, so weit es nur ging, und schoß, seinen Feind auf einen Hieb zu verscheuchen, seine keulenförmige Zunge gegen den Hahn ab. Der Hahn stand eine Sekunde verblüfft da, dann ließ er rasch entschieden seinen Schnabel wie einen Hammer herabsausen und knipste dem Chamäleon die Zunge ab.
    Das ganze Treffen zwischen den zweien hatte zehn Sekunden gedauert. Ich trieb Fathimas Hahn beiseite, nahm einen großen Stein auf und tötete das Chamäleon, denn es konnte ohne Zunge nicht weiterleben; die Chamäleons fangen die Insekten, von denen sie sich nähren, mit der Zunge.
    Ich war so verängstigt von dem Schauspiel, das ich gesehen hatte – denn es war das Grauenvolle und Furchtbare in einem winzigen Maßstab –, daß ich davonging und mich auf die Steinbank beim Hause setzte. Ich saß dort lange Zeit, und Farah brachte mir meinen Tee heraus und stellte ihn auf den Tisch. Ich blickte auf die steinerne Platte und wagte nicht aufzusehen, so gefahrdrohend erschien mir die Welt.
    Erst sehr allmählich, im Verlauf des nächsten Tages, kam mir’s, daß ich ja in Wahrheit die tiefsinnige Antwort auf meine Frage erhalten hatte. Ich war sogar in einer seltenen Weise geehrt und ausgezeichnet worden. Die Mächte, die ich angerufen hatte, schlugen meine Würde höher an als ich selbst; und welche andere Antwort hätten sie mir geben können? Weichlichkeit war gewiß nicht das Gebot der Stunde, und sie hatten großmütig übersehen, daß mich nach ihr verlangt hatte. Die großen
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