Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika
Autoren: Tania Blixen
Vom Netzwerk:
mir auf einem Pfad in der Steppe, auf dem Rücken eine Ladung der langen, dünnen Stangen, aus denen die Kikuju das Dachgerüst ihrer Hütten bauen, was bei den Kikuju als Weiberarbeit gilt. Die Stangen sind annähernd fünf Meter lang; wenn die Weiber sie tragen, schnüren sie sie an den Enden zusammen, und die hochragende, kegelförmige Last gibt der Trägerin, wenn man sie von weitem über Land ziehen sieht, den Umriß eines vorsintflutlichen Tieres oder einer Giraffe. Die Stangen, die diese Frau trug, waren ganz schwarz und angekohlt, poliert vom jahrelangen Qualm in der Hütte; sie war offenbar dabei, ihr Haus abzureißen, und schleppte vermutlich ihr Baumaterial zum neuen Bauplatz. Als wir zusammentrafen, blieb sie regungslos stehen und sperrte mir den Weg; sie starrte mich grad so an wie eine Giraffe, die man bei ihrer Herde auf offener Steppe trifft, deren Leben, Fühlen und Denken man nicht ergründen kann. Mit einem Mal brach sie in Heulen aus, die Tränen strömten ihr übers Gesicht, es war, als schlüge eine Kuh auf der Weide vor einem ihr Wasser ab. Beide sprachen wir kein Wort; nach ein paar Minuten gab sie mir den Weg frei, und wir trennten uns und gingen jede ihres Weges weiter. Sie hat immerhin etwas, dachte ich mir, um sich ein Haus zu bauen, das ist eine Wohltat für sie.
    Die kleinen Hirtenbuben auf der Farm, die es ihr Leben lang nicht anders gewußt hatten, als daß ich in dem Hause lebte, gerieten bei der Vorstellung, daß ich fortging, in große Aufregung und erwartungsvolle Spannung. Es muß eine ungeheure, verwegene Idee für sie gewesen sein, sich die Welt ohne mich zu denken, als hieße es plötzlich, die Vorsehung habe abgedankt. Sie reckten sich bis über das wogende Gras, wenn ich vorüberkam, und riefen mir zu: »Wann gehst du fort, Msabu? Msabu, in wieviel Tagen gehst du fort?«
    Als schließlich der Tag kam, an dem ich fortging, machte ich die seltsame Erfahrung, daß etwas geschehen kann, was wir uns überhaupt nicht vorzustellen vermögen, weder im voraus, noch wenn es geschieht, noch hinterdrein, wenn wir darauf zurückblicken. Die Zeitumstände selbst können eine bewegende Kraft entfalten, die ohne Hilfe der menschlichen Vorstellung oder Wahrnehmung zu Ereignissen führt. In solch einem Falle bleibt unsere einzige Brücke zum Geschehen, daß wir es aufmerksam von Augenblick zu Augenblick verfolgen, wie ein Blinder, der geführt wird und einen Fuß vor den anderen setzt, behutsam, aber unwissentlich. Dinge widerfahren einem, und man merkt, daß sie geschehen, aber außer dieser einen Feststellung hat man keine Beziehung zu ihnen und keine Schlüssel für ihre Ursache oder Bedeutung. Wilden Tieren, die im Zirkus auftreten, mag bei ihrer Arbeit so zumute sein. Wer solche Begebenheiten erlebt, kann in gewissem Sinne sagen, daß er den Tod erlebt hat: ein Ereignis jenseits der Vorstellung, aber diesseits der Erfahrung.
    Gustav Mohr kam am frühen Morgen in seinem Wagen heraus, um mit mir an den Bahnhof zu fahren. Der Morgen war kühl, aber arm an Farben in Luft und Landschaft. Mohr sah blaß aus, und seine Augen zwinkerten; mir fiel ein, was mir einmal der norwegische Kapitän eines Walfischfängers in Durban erzählt hatte, die Norweger wären von keinem Sturm umzukriegen, aber eine Flaute könnten ihre Nerven nicht ertragen. Wir tranken am Mühlsteintisch unseren Tee, wie wir es früher schon oft getan hatten. Drüben im Westen, die Berge vor uns, die Schluchten von lichtem grauem Nebel verschleiert, ließen ernst, gemessen eine Sekunde ihres vieltausendjährigen Lebens verstreichen. Meine Hausboys waren noch im leeren Hause, aber sie hatten sozusagen ihr Dasein schon anderswohin verfrachtet, ihre Familien und ihre Habseligkeiten waren vorausgezogen. Farahs Frauen und Saufe waren tags zuvor mit einem Lastauto ins Somaliviertel von Nairobi übergesiedelt. Farah selbst fuhr mit mir bis Mombasa und mit ihm Tumbo, Jumas kleiner Sohn, der keinen größeren Wunsch auf der Welt hatte und, als ihm beim Abschied die Wahl zwischen einer Kuh und einer Fahrt nach Mombasa gelassen wurde, die Reise wählte.
    Ich nahm einen langen Abschied von jedem meiner Hausboys, und als ich hinausging, ließen die, die so sorgsam erzogen waren, die Türen zu schließen, hinter mir die Tür weit offen – eine Gebärde so recht aus der Seele der Schwarzen, als meinten sie, ich solle wiederkommen, oder als wollten sie bekunden, daß nun nichts mehr da sei, was des Schutzes einer Tür bedürfe, daß sie nun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher