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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika
Autoren: Tania Blixen
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Fenster auf den Boden. Ich dachte mir, er schaue wohl herein und wundere sich, wie lange ich noch an einem Orte zu bleiben gedächte, den alles sonst verlassen habe. O nein, sagte der Mond, ich frage nicht viel nach Zeit.
    Ich wäre gern noch so lange geblieben, bis sich die Squatter in ihren neuen Wohnsitzen eingerichtet hatten. Aber die Landvermessung brauchte ihre Zeit, und es war ungewiß, wann sie würden übersiedeln können.

Abschied
    Zu dieser Zeit geschah es, daß die alten Männer der Ge gend beschlossen, für mich eine Ngoma abzuhalten.
    Diese Ngomas der Alten waren einst große Feste gewesen; jetzt wurden sie nur noch selten getanzt, und ich habe in meiner ganzen Zeit in Afrika keine gesehen. Ich hätte es gern noch erlebt, denn die Kikuju selbst hielten große Stücke davon. Es galt als eine Ehre für die Farm, daß der Tanz der Alten auf ihr vor sich gehen sollte, meine Leute sprachen schon lange vor der angesetzten Zeit davon. Selbst Farah, der sonst mit Geringschätzung auf die Ngomas der Schwarzen herabsah, war diesmal von dem Vorhaben der Alten beeindruckt. »Diese Männer sind sehr alt, Memsahib«, sagte er, »sehr, sehr alt.« Es war seltsam, mit welcher Ehrerbietung und Scheu die jungen Kikujukrieger von dem bevorstehenden Auftreten der alten Tänzer sprachen.
    Eine Besonderheit dieser Ngomas war mir unbekannt geblieben – daß sie nämlich von der Regierung verboten waren. Über die Ursache des Verbots weiß ich nichts. Die Kikuju müssen von der Verordnung Kenntnis gehabt haben, waren aber willens, sich taub zu stellen, sei es, daß sie meinten, in einer so wirren, wichtigen Zeit könne man etwas tun, was sonst nicht anginge, sei es, daß sie tatsächlich im Banne der großen Erregung, die der Tanz hervorrief, alles übrige vergaßen. Sie brachten es nicht einmal fertig, über die Ngoma Stillschweigen zu bewahren.
    Die alten Tänzer, die antraten, boten einen seltenen, erhabenen Anblick. Es waren ihrer etwa hundert, und sie erschienen alle zugleich; sie hatten sich wohl irgendwo abseits des Hauses versammelt. Die alten Eingeborenen sind verfrorene Leute, sie packen sich gewöhnlich reichlich in Felle und Decken ein. Hier aber traten sie nackt auf, wie zum feierlichen Bekenntnis der furchtbaren Wahrheit. Schmuck und Kriegsbemalung waren sparsam verwendet, aber einige trugen auf ihren alten, kahlen Schädeln den mächtigen Kopfputz aus schwarzen Adlerfedern, wie man ihn auf den Köpfen der jungen Tänzer sieht. Sie bedurften keines Zierats, sie waren selbst imposant genug. Sie versuchten nicht wie die alten Gecken europäischer Ballsäle, sich krampfhaft ein jugendliches Aussehen zu geben, der ganze Sinn und die Gewichtigkeit des Tanzes lag für sie selbst und für die Zuschauer eben in dem hohen Alter der Tänzer. Sie hatten eine seltsame Zeichnung am Körper, dergleichen ich sonst nie gesehen habe, graue Streifen, die sich an ihren Gliedern entlangzogen, als wollten sie in unerbittlicher Wahrheitsliebe die steifen, mürben Knochen unter der Haut in Erscheinung bringen. Die Bewegungen, mit denen sie ihren langsamen, einleitenden Aufmarsch vollführten, waren so seltsam, daß ich gespannt war, welche Art Tanz ich wohl nun zu sehen bekommen würde.
    Als ich da stand und sie betrachtete, überkam mich wieder die Vorstellung, die schon einmal in mir aufgetaucht war: nicht ich ging fort, in meiner Macht stand es nicht, Afrika zu verlassen, das Land selber wich ernst und langsam vor mir zurück wie das Meer bei der Ebbe. Die Prozession, die da vorüberzog – das waren in Wahrheit meine starken, kraftstrotzenden, jungen Tänzer von gestern und vorgestern, die vor meinen Augen schrumpften und davonzogen, um nie wiederzukehren. Sie schritten einher, in ihrem Wesen getreu, vornehm, tanzend – sie waren mit mir und ich mit ihnen im Einklang.
    Die alten Männer sprachen nicht, nicht einmal miteinander, sie sparten ihre Kraft für die bevorstehende Anstrengung.
    Als sich die Tänzer eben für den Tanz aufgestellt hatten, erschien auf der Farm ein Askari von Nairobi mit einem Schreiben an mich, die Ngoma dürfe nicht stattfinden.
    Ich begriff die Nachricht nicht, sie war so außer allem Bereich des Erwarteten, daß ich das Schriftstück zwei- oder dreimal lesen mußte. Der Askari, der es überbrachte, war sich der Ehrwürdigkeit des Schauspiels, das er störte, so bewußt, daß er den Alten oder meinen Hausboys nicht ein Wort zu sagen wagte, auch nicht stelzte und sich brüstete, wie es sonst die Art der
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