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SdG 04 - Die eisige Zeit

SdG 04 - Die eisige Zeit

Titel: SdG 04 - Die eisige Zeit
Autoren: Steven Erikson
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I
     
    Maeth’ki Im (Das Pogrom der Verfaulten Blume),
    der 33. Jaghut Krieg
    298665 Jahre vor Brands Schlaf.
     
    S
    chwalben schossen durch die Mückenschwärme, die über den schlammigen Tümpel tanzten. Der Himmel über der Marsch war noch immer grau, doch er hatte seinen quecksilbrigen, winterlichen Glanz verloren, und der warme Wind, der seufzend über das verwüstete Land strich, brachte den Geruch von Heilung mit sich.
    Was einst ein aus den zerschmetterten Eisfeldern der Jaghut entstandenes Süßwasser-Binnenmeer gewesen war, das die Imass Jaghra Til genannt hatten, lag in seinen letzten Todeszuckungen. So weit das Auge in Richtung Süden reichte, spiegelte sich der blasse Himmel zwar in schrumpfenden Tümpeln und knietiefen Wasserlachen; dennoch beherrschte neu entstandenes Land das Blickfeld.
    Der magische Bann, der diesem Land eine Eiszeit beschert hatte, war gebrochen, und nun kehrte es zu den alten, natürlichen Jahreszeiten zurück, doch überall fanden sich Erinnerungen an die gebirgshohen Gletscher. Der nackte Fels im Norden war mit Kratzern und Schrunden übersät, die Senken mit Felsbrocken gefüllt. Aus den dicken Schlammschichten, die den Grund des Binnenmeeres gebildet hatten, stiegen noch immer blubbernde Gasblasen auf, während das Land, vom enormen Gewicht des vor acht Jahren vorbeigezogenen Gletschers befreit, sich weiter langsam hob.
    Jaghra Tils Leben war nur kurz gewesen, doch die Schlammschichten, die sich auf seinem Grund abgelagert hatten, waren dick. Und trügerisch.
    Pran Chole, Knochenwerfer in Cannig Tols Clan vom Volk der Kron Imass, saß reglos auf einem größtenteils in der Erde vergrabenen Felsblock am Rand eines alten Uferabbruchs. Der Hang vor ihm war ein einziges Durcheinander aus niedrigen, drahtigen Gräsern und verwittertem Treibholz. Zwölf Schritte weiter fiel das Land leicht ab und verwandelte sich dann in ein breites Schlammbecken.
    Drei Ranag waren zwanzig Schritte weit im Innern der morastigen Senke in ein Sumpfloch geraten. Ein Bulle, sein Weibchen und ihr Kalb, aufgestellt in einem armseligen Verteidigungskreis. Im Sumpf festsitzend und so gut wie wehrlos, mussten sie dem Ay-Rudel, das sie aufgespürt hatte, als leichte Beute erschienen sein.
    Doch das Land war in der Tat trügerisch. Die großen Wölfe der Tundra hatten das gleiche Schicksal erlitten wie die Ranag. Pran Chole zählte sechs Ay, unter ihnen ein Jährling. Spuren deuteten darauf hin, dass ein weiterer Jährling das Schlammloch Dutzende Male umkreist hatte, bevor er in Richtung Westen davongewandert war – zweifellos dazu verurteilt, allein und einsam zu sterben.
    Wie lange war es her, seit dieses Drama sich ereignet hatte? Das war unmöglich zu sagen. Der Schlamm war auf den Ranag und den Ay gleichermaßen getrocknet, hatte sie in von Sprüngen durchzogene Mäntel aus Lehm gehüllt. Flecken von hellem Grün zeigten sich überall dort, wo vom Wind herangetragene Samen zu keimen begonnen hatten, und der Knochenwerfer wurde an die Visionen erinnert, die er gehabt hatte, als er seinen Geist auf die Reise geschickt hatte – unzählige weltliche Einzelheiten, die zu etwas Unrealem verwoben worden waren. Für die Tiere war der Kampf zu einem ewigen Kampf geworden -Jäger und Gejagte für alle Zeiten miteinander vereint.
    Jemand kam an seine Seite getappt, hockte sich neben ihn.
    Pran Choles gelbbraune Augen blieben weiter auf die mitten in der Bewegung erstarrte Szene vor ihm gerichtet. Der Rhythmus der Schritte verriet dem Knochenwerfer, wer zu ihm getreten war, und jetzt kamen auch noch die warmen Gerüche hinzu, so dass er den Mann nicht mehr anzusehen brauchte.
    Cannig Tol sprach. »Was liegt unter dem Lehm, Knochenwerfer?«
    »Nur das, was der Lehm selbst geformt hat, Clanführer.«
    »Du siehst in diesen Tieren also keine Vorzeichen?«
    Pran Chole lächelte. »Tust du es denn?«
    Cannig Tol dachte einige Augenblicke nach, ehe er sagte: »Es gibt keine Ranag mehr in diesem Land. Auch keine Ay Vor uns sehen wir einen Kampf, der vor langer Zeit stattgefunden hat. Diese Feststellungen haben eine tiefe Bedeutung, denn sie wühlen meine Seele auf.«
    »Genau wie meine«, gab der Knochenwerfer zu.
    »Wir haben die Ranag gejagt, bis es keine mehr gab, und das ließ die Ay Hunger leiden, denn zuvor hatten wir auch die Tenag gejagt, bis es keine mehr gab. Die Agkor, die mit den Bhederin über die Tundra wandern, wollten nicht mit den Ay teilen, und jetzt ist die Tundra leer. Daraus schließe ich, dass wir
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