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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes
Autoren: Heather Terrell
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reagieren würde, dass ich eine Art Engel war und unsere Welt auf der Schwelle zur Vernichtung stand. Ganz egal, in welche netten Worte wir es verpackt hatten.
    Ruth räusperte sich. »Dann weißt du es also doch noch«, flüsterte sie.
    Ich war wie vom Donner gerührt. Nichts an ihrem Verhalten hatte mir auch nur den kleinsten Anhaltspunkt dafür gegeben, dass sie sich an irgendetwas erinnerte. »Du etwa auch?«
    Ruth beugte sich ganz nah zu mir. Mit einer Stimme, die so leise war, dass ich sie kaum verstehen konnte, sagte sie: »Ich weiß noch, wie ich dir und Michael beim Fliegen zugesehen habe. Und ich weiß, dass ich dich vor ein paar Tagen zum Bahnhof gefahren habe. Heute ist das erste Mal, dass wir uns seitdem wiedergesehen haben. Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht, aber wen hätte ich fragen können? Deine Eltern ja wohl nicht.«
    Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich nahm sie in die Arme und drückte sie. »Gott sei Dank!«
    Als meine Hände ihren Rücken und ihre Schultern berührten, hatte ich eine kurze Vision. Ich sah Ruth, wie sie in ihrem winzigen Zimmer auf und ab ging und mit geröteten Augen ihr Handy anstarrte. Sie war ganz krank vor Sorge über Michaels und mein Verschwinden und wünschte sich verzweifelt, dass es klingeln würde.
    Aus genau dem Grund hatte ich es seit meiner Rückkehr aus Boston vermieden, andere Menschen anzufassen. Diese eine spezielle Fähigkeit ließ sich nicht unterdrücken, ganz egal, wie sehr ich mich auch bemühte.
    Ruth ahnte nichts von dem, was ich gesehen hatte. Sie erwiderte die Umarmung und wisperte: »Ich dachte schon, du hättest vergessen, wozu du imstande bist oder dass ich über deine und Michaels … Fähigkeiten Bescheid weiß. Oder dass du aus irgendeinem Grund nicht darüber sprechen wolltest. Deswegen habe ich auch nicht weiter nachgehakt, als du heute Morgen behauptet hast, du wärst krank.«
    »Jetzt weißt du ja, warum ich nichts gesagt habe«, entschuldigte ich mich. In unserem Brief hatten Michael und ich auch erwähnt, dass unsere Eltern versucht hatten, unser Gedächtnis zu löschen. Und wieso sie es getan hatten. Wenn wir wollten, dass Ruth uns half, mussten wir alle Karten auf den Tisch legen.
    Ich spürte, wie sie, den Kopf an meine Schulter gelehnt, nickte.
    »Und? Hilfst du uns?«, flüsterte ich.
    »Na, sicher. Ich besorge euch die Infos, die ihr braucht.«
    »Aber dir ist schon klar, dass es mit gewissen Risiken verbunden ist? Ziemlich großen sogar? Wir wissen nicht, ob die anderen Gefallenen uns schon geortet haben und uns jetzt vielleicht beobachten. Falls ja, dann bedeutet das, dass sie dich vielleicht auch bald ins Visier nehmen. Und wir haben keine Ahnung, was sie sonst noch machen könnten … mit uns oder mit dir.« Meine Stimme verhakte sich beim bloßen Gedanken daran, dass Ruth etwas zustoßen könnte.
    »Natürlich. Das ist doch logisch.« Ihre Stimme klang fest und sicher, trotzdem bezweifelte ich, dass sie sich über die Gefahren wirklich im Klaren war. Wie auch? Sie hatte nicht dem leibhaftigen Bösen ins Angesicht geblickt so wie Michael und ich.
    Unvermittelt fing ich an zu weinen. »Danke, Ruth. Danke, dass du uns hilfst.«
    »Ellie, für dich würde ich alles tun, das weißt du doch. Und wenn ich deinen Brief richtig verstanden habe, dann ist die ganze Menschheit in Gefahr. Wenn die gefallenen Engel mitbekommen, dass ihr zwei wisst, wer ihr seid, dann werden sie euch garantiert in irgendeiner Weise in einen Kampf verwickeln. Und dann steht das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel.«

Sechs

    J etzt hieß es warten. Darauf, dass Ruth irgendwelche Neuigkeiten für uns hatte. Die restliche Woche kam uns endlos vor. Es war zum Wahnsinnigwerden: Da wussten wir nun, dass wir auserwählte Wesen waren, dazu bestimmt, das bevorstehende Ende der Welt zu verhindern, und wir konnten rein gar nichts tun . Außer den lieben langen Tag unsere Kräfte zu unterdrücken und durch die Gänge unserer Schule oder die Straßen von Tillinghast zu spazieren, als wären wir kein bisschen anders als die anderen. Außer uns nachts im Bett zu wälzen und zunehmend unangenehmere Träume zu haben, statt durch den nächtlichen Himmel zu fliegen.
    Ich saß wie auf glühenden Kohlen. Endlich sollte etwas passieren. Das Warten fraß an meinem ohnehin schon ziemlich dünnen Nervenkostüm.
    Dann stand das Wochenende vor der Tür, und ich hatte keine Ahnung, wie ich die zwei langen Tage überstehen sollte. Als Michael daher am ungewöhnlich sonnigen
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