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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke
Autoren: Antonia Michaelis
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vermischen.«
    »Aber jetzt«, sagte ich. »Jetzt ist ein Loch in der Mauer.«
    Da war es Joern, der nickte. »Und seit heute gibt es eine Brücke über den Finsterbach«, sagte er. »Was ist, wenn das Böse über die Brücke kommt? Durch das Loch in der Mauer? Dann wäre es unsere Schuld.«
    In diesem Augenblick raschelte es im Gebüsch hinter den Brennnesseln. Und plötzlich erschienen mir die Schatten dort dunkler als sonst. Ich setzte mich auf. Es raschelte noch einmal. Nicht wie eine Amsel oder wie ein Igel, nicht einmal wie ein Kaninchen. Es war etwas Größeres, das da raschelte, etwas viel Größeres.
    »Was ist das?«, flüsterte Joern. Die hellen Funken in seinen grünen Augen flackerten erschrocken.
    »Vielleicht ein Reh«, wisperte ich und legte den Finger an die Lippen. »Aber vielleicht auch nicht.«
    Auf einmal fiel mir das Rot wieder ein, das Rot im weißen Fell des Lamms. Für ein paar Stunden hatte ich es vergessen. Ich Idiot! Westwind hatte ebenfalls den Kopf gehoben. Seine Ohren spielten unruhig und er schnaubte nervös. Flop zog den Schwanz ein und witterte. Es kam mir vor, als wäre es plötzlich kälter geworden auf der Lichtung. Wir standen ganz leise auf.
    »Das Böse«, flüsterte ich, »ist schon gekommen, ehe wir die Stämme über die Schlucht gelegt haben. Es braucht keine Brücken.«
    Dann ging ich langsam rückwärts und zog Joern am Ärmel seiner grauen Jacke mit mir. Bis wir Westwind erreicht hatten, raschelte es noch zweimal im Gebüsch. Es war, als verdichteten sich die Schatten dort hinter den mannshohen Brennnesseln zu einer Gestalt. Ich zog mich auf Westwinds Rücken hinauf und half Joern hoch. Flop war auf seinen Arm gesprungen. Er spürte unsere Angst wohl, denn sein ganzer kleiner Hundekörper zitterte wie ein Wackelpudding.
    »Lauf, mein Westwind, lauf!«, befahl ich und drückte meinem Pferd die Hacken in die Seiten. Da preschte Westwind mit uns über die Lichtung, dass das hohe Gras sich nur so bog. Wir tauchten in den Wald ein, duckten uns, spürten die Zweige, die unser Haar streiften. Joern klammerte sich mit einer Hand an mich, um nicht von Westwinds Rücken zu fallen. Mit der anderen hielt er Flop fest.
    Hinter uns brachen jetzt Äste. Jemand war uns auf den Fersen.
    »Schneller, mein Westwind!«, rief ich. »Schneller!«
    Und Westwind lief schneller. Er lief, so schnell er konnte, doch er lief nicht schnell genug.
    »Es holt auf!«, rief Joern. »Was ist es?«
    »Ein Kjerk«, antwortete ich.
    »Was ist ein Kjerk?«
    »Ich … ich weiß es nicht«, keuchte ich. »Frag mich noch mal, wenn er uns eingeholt hat! Aber dann sind wir vermutlich schon zu blutigen roten Stücken zerrissen worden.«
    Ich ließ Westwind Haken schlagen wie die Kaninchen, lenkte ihn geheime Pfade entlang, enge Wege zwischen Felsen hindurch, die im Wald herumlagen. Es nützte alles nichts. Das Knacken der Äste hinter uns kam näher und näher. Und schließlich erhob sich vor uns eine hohe Brombeerhecke. Ich kannte die Hecke. Ich hatte uns absichtlich hierher geführt.
    »Was hast du …«, begann Joern, doch ich ließ ihn nicht ausreden.
    »Halt dich fest!«, schrie ich.
    Und dann sprangen wir über die Hecke.
    Westwind ist kein Pferd, das oft über Brombeerhecken springt. Ich wusste nicht einmal, ob er es konnte. Ich wusste auch nicht, ob der Kjerk es konnte. Doch wir hatten keine andere Wahl. Wir konnten nur hoffen, dass die Hecke den Kjerk zurückhalten würde.
    Ich spürte, wie wir durch die Luft flogen, spürte, wie sich Joerns Finger in meine Schulter gruben, hörte Flops erschrockenes Jaulen …
    Westwinds Hufe streiften die Hecke. Wenn er hängen blieb, das wusste ich, würden wir allesamt stürzen. Aber Westwind blieb nicht hängen. Er landete auf der anderen Seite der Hecke und preschte weiter. Ich wollte gerade aufatmen, da hörte ich etwas hinter uns durchs Gebüsch brechen. Diesmal war es so nah, dass ich glaubte, seinen Atem zu fühlen.
    Auch der Kjerk war über die Hecke gesprungen.
    Sekunden später holte er uns ein. Sein großer Schatten preschte an uns vorüber und mir wurde klar, dass wir verloren waren. Endlich, endlich hatte ich jemand gefunden, der mein Freund werden konnte, und nun würde der Kjerk uns beide zerreißen.
    »He, Lasse!«, rief der Kjerk und drehte sich nach uns um. »Ich hab gewonnen, würde ich sagen! Ordentlicher Sprung, alle Achtung! Aber eingeholt hab ich euch trotzdem.«
    Da sah ich, dass der Kjerk überhaupt kein Kjerk war, sondern Almut, Frentjes
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