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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde
Autoren: Natasa Dragnic
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Dach. Es war klar zu sehen. Aber du hast es nicht gesehen …« Sie schnappt nach Luft. Nach einer kleinen Pause fragt sie ganz leise: »Oder willst du nicht mehr mit mir spielen?«
    Ein Boot fährt aus dem Hafen. Der Motor brummt laut. Das Meer wellt sich kaum merklich, aber genug, um Dora und Luka sanft zu schaukeln. Ihre Körper berühren sich leicht, trennen sich wieder, berühren sich, trennen sich, berühren sich …
    »Ich sehe alles, ich habe auch die Taube gesehen, ich will nur, dass du gewinnst. Sonst bist du ganz traurig, und das mag ich nicht.«
    »Stimmt ja gar nicht …«
    »Ich mag nicht, wenn du traurig bist, das mag ich überhaupt nicht.«
    Luka liegt immer noch auf der Seite und beobachtet Doras Gesicht. Nur nicht daran denken, denkt er, dass es bald weg sein wird.
    Dora schweigt eine Weile. Dann setzt sie sich auf und umfasst ihre Knie.
    »Ich bin nicht traurig. Das stimmt überhaupt nicht. Ich bin nicht traurig, wenn ich nicht gewinne. Es ist gemein, so etwas zu sagen, wenn es überhaupt nicht stimmt. Frag, wen du willst. Es ist gemein. So etwas zu sagen, wenn es überhaupt nicht stimmt. Alle werden es dir sagen, frag sie nur.«
    Sie legt die Stirn auf die Knie.
    Luka kann sie nicht länger ansehen. Sein Herz pocht laut und unregelmäßig. In seinem Kopf ist es wirr. Er setzt sich auch aufrecht hin. Er wagt es nicht zu atmen. Er macht die Augen zu und zählt: Eins, zwei, drei, vier …
    »Hör sofort auf damit! Atme! Oder willst du wieder ohnmächtig werden?«
    Dora schüttelt ihn so heftig, dass er umkippt und fast ins Meer fällt. Er macht die Augen auf. Doras Gesicht ist ganz nah, ihre schwarzen Augen sind groß wie die zwei Pizzateller, die er neulich im Restaurant Plaža gesehen hat. Sie waren so groß, dass die Kellner sie kaum tragen konnten. Sie zitterten in ihren Händen, und Luka hat gedacht, dass die Pizzas jeden Moment auf dem Boden landen würden. Leider ist nichts passiert.
    »Lass uns schwimmen gehen«, sagt er unvermittelt und steht auf. Er springt vom Kabinendach auf das Querbrett und von da aus aufs Land. Ohne auf Dora zu warten, geht er mit großen Schritten Richtung Sv. Petar. Zum Felsen. Bald hört er sie hinter sich. Er lächelt. Ganz leicht, wie die Wolke, ist sie. In seinem Kopf entsteht gleich ein wunderbares Bild.
    »Und ich habe es doch gesehen, aber es war keine Eiskugel, so was Blödes! Es war ein Fußball, dem die Luft ausgegangen ist!«
     
    Es ist vier Jahre her, dass Dora zum ersten Mal in den Kindergarten gekommen und Luka in Ohnmacht gefallen ist. Es ist vier Jahre her, dass Dora und Luka unzertrennlich geworden sind. Niemand wundert sich. Niemand stellt Fragen. Alle schauen interessiert zu, denn so etwas hat Makarska noch nicht erlebt. Niemand lacht. Nicht einmal die anderen Kinder. Die spielen mit ihnen oder aber sie lassen sie in Ruhe. Es liegt etwas Seltsames in der Luft, wenn Dora und Luka zusammen sind. Man kann es nicht Frieden nennen und nicht Sturm. Es riecht nach Mandarinen und nach gerösteten Mandeln und nach Meer und nach frisch gebackenen Keksen und nach Frühling. Als wären sie von einer Wolke umhüllt. Einige behaupten, sie, die Wolke, sei türkis, andere wiederum, sie sei orange. Domica, die alte Frau, die immer vor ihrem Haus am Waldrand zwischen der Riva und dem Strand sitzt, sagt, sie sei hellblau, fast weiß wie der Himmel im Sommer. Dabei nickt sie vielsagend und schließt die beinah blinden Augen. Seit sie das Erdbeben vor sechs Jahren vorhergesehen hat, haben die Leute ein wenig Angst vor Domica, kommen aber immer wieder zu ihr, um sie um Rat zu fragen. Vor allem junge, verliebte Frauen.
    Aus irgendeinem Grund finden auch die Eltern es nicht merkwürdig, dass eine Zweijährige und ein Fünfjähriger Freunde geworden sind. Und was für Freunde! Gelegentlich sehen sie einander nachdenklich an, so als würden sie sich an etwas erinnern, an etwas, das man besser vergessen sollte. Man sieht sie dann abwesend und verträumt lächeln. Aber das war schon alles. Sie haben nie etwas gesagt und tun alles Mögliche, damit die Kinder sich täglich sehen können, auch außerhalb des Kindergartens. Und als eines Tages Luka mit Doras Tasche und sie mit seinem beschädigten Rucksack in den Kindergarten gekommen ist, hat es gar keiner bemerkt. Und niemand ist auf die Idee gekommen, nach dem Verbleib der alten Plastiktüte zu fragen.
    Lukas vierjährige Schwester Ana will auch mitspielen oder mitgehen, was Luka und Dora meistens nicht passt. Manchmal, vor
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