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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Jenny von hinten an und versuchte sie an das Ufer zu drücken. Aber die alte Dame verkannte das brave Tier ein zweites Mal. Sie glaubte, der mordgierige Hund wolle sie selbst noch im Wasser in Stücke reißen. Ihre spitzen Schreie überschlugen sich und erreichten jene sirrende Höhe, wo sie Fensterscheiben zerspringen lassen und dem Ohr nicht mehr wahrnehmbar sind. Als Lady sie mit zartem Biß am Arm festhielt und fortzog, verlor sie die Besinnung und kippte zur Seite.
    Jan hatte inzwischen das Boot gewendet und die Besinnungslose erreicht. Er zog kräftig, Lady schob, und schon lag Jenny im Boot. Mit dem Anbordholen des Hundes hatte er mehr Mühe. Der mußte erst ans Ufer schwimmen und von dort aufspringen. Aber schließlich waren Besatzung und Passagiere wieder vollzählig an Bord. Die Fahrt konnte fortgesetzt werden.
    Tim und Nicole beugten sich über Oma Jenny und lauschten auf ihren Herzschlag. Der war gottlob zu hören.
    Jan kratzte sich am Kopf, fluchte etwas sehr Ungehöriges vor sich hin und belegte Lady mit einer Handvoll wenig schmeichelhafter Namen.
    „Du bist das dämlichste Geschöpf, das je in meinem Boot saß!“ rief er. „Der dümmste Wasserbüffel Indiens ist nicht halb so dumm wie du! Mußt du Kamel dich denn immer wie ein Elefant benehmen? Kannst du dusselige Seekuh nicht sanfter sein? Leg dich hin und schäm dich und denke darüber nach, wie ein wohlerzogener Hund alten Damen begegnet!“
    Lady ließ die Beschimpfungen an ihrem dicken Fell abprallen. Sie hörte überhaupt nur mit einem Ohr hin, wenn nicht gar nur mit einem halben, denn sie hatte ein eigenes Problem. Sie war naß wie ein Aufwischlappen, zum Auswringen naß, und das war ihr höchst unangenehm. Darum schüttelte sie sich erst einmal so gewaltig, daß das Boot schaukelte und das Wasser aus ihrem dichten Pelz im Handumdrehen die Kleidung von Nicole und Tim durchnäßte. Dann breitete sie sich zum Trocknen aus, und zwar unmittelbar neben Oma Jenny.
    Jan warf den Motor an, gab Gas und schoß in rasender Fahrt den Kanal entlang. An die Lampions, die er anzünden und als Willkommensgruß an die Leine hängen wollte, dachte er nicht mehr.
    Die Kinder schwiegen, Lady trocknete, und Oma Jenny schlief. Sie erwachte erst, als das Boot fest an seinem Liegeplatz vertäut war. Ein Blick auf die nassen Kleider brachte ihr das Erlebte sogleich wieder in Erinnerung. Zitternd erhob sie sich, ergriff widerwillig den Arm Jan Tabaks und stelzte an Land. Dort, festen Boden unter den Füßen, riß sie sich los und würdigte Jan keines Blickes mehr.
    Im Wohnzimmer auf dem Stuhl aber brach sie in ein haltloses Schluchzen aus.
    Tina hatte viel Mühe, ihr eine Tasse heißen Tee einzuflößen. Nur ganz allmählich beruhigte sie sich. Als sie den mordgierigen Hund an der Tür liegen sah, fing sie aber sofort wieder an zu zittern. Da hielt Tina es für das beste, sie zu Bett zu bringen. Sie redete immerfort beruhigend auf sie ein, zog sie behutsam aus, deckte sie bis an die Ohren zu und steckte ihr eine Wärmflasche an die Füße. Nun erst fühlte die alte Frau sich geborgen und setzte ein kleines Lächeln auf.
    „Grüß dich Gott, Tina“, flüsterte sie mit schwacher Stimme. „Wie geht es dir?“ Dann schloß sie die Augen und schlief ein.
    Es wurde höchste Zeit, daß Tina endlich Nicole und Tim begrüßte, die sich trotz der beiden duftenden Kuchen auf dem Tisch recht verloren und unerwünscht vorkamen, weil sich bisher noch niemand um sie gekümmert hatte.
    „Meine lieben Kinder“, rief sie, „das ist ja ein schöner Empfang, was? Ich sag ja, wenn ich meinen Mann schon mal allein lasse! Der macht mit seinen fünfundsechzig Jahren mehr Dummheiten als ein Schulkind. Aber setzt euch doch! Ihr müßt doch nicht so in der Stube herumstehen, als ob ihr nicht dazugehört. Ab heute seid ihr meine Kinder, und Jan Tabak ist euer Vater. Er ist ja ein bißchen ruppig, aber er meint das nicht so. Im Grunde ist er gutmütig wie ein alter Leithammel.“
    Jan Tabak hatte das letzte mitgehört, da er auf seinen dicken Wollsocken unbemerkt durch die Tür getreten war. Er grinste und sagte: „Da hat meine Frau vollkommen recht. Und sie ist so sanft wie ein altes Mutterschaf. Ihr braucht also keine Bange zu haben. Wenn ihr brave Lämmer sein wollt, kriegen wir uns niemals in die Wolle. Tina, schneide den Kuchen an, meine Passagiere sind hungrig! Los, Leute, ‘ran an den Tisch! So was Feines, wie da steht, habt ihr bestimmt noch nicht gegessen. Tante Tina, die kann

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