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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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lenkte Tim ein, „streiten wir uns doch nicht darüber. Jedenfalls fing ich an, die Morsezeichen, die das Tier uns zuzwinkerte, zu deuten. Und das erste, was ich entzifferte, war SOS.“
    „Das ist doch wohl nicht möglich!“ staunte Oma Jenny. „Woher soll ein Wal die Blinkzeichen kennen?“
    „Na, hör mal!“ wies Jan sie zurecht. „Das ist doch keine Frage! Ein Wal sieht es doch zeit seines Lebens um sich herum blitzen und blinken. Tausende von Schiffen geben sich immerzu Signale, übermitteln Grüße und weisen einander den Weg. Wenn so ein Tier nicht auf den Kopf gefallen ist und ein bißchen kombinieren kann, kennt es bald das gesamte Alphabet und kann jede Meldung mitlesen.“
    „Unser Wal war ein ganz heller Bursche“, versicherte Tim. „Er morste in einem unerhörten Tempo. Nur verwechselte er dauernd das N mit dem A, kurz - lang, lang - kurz. Das verwirrte mich anfangs. Aber als ich dahinter war, verstand ich alles und konnte ihm antworten.“
    „Antworten?“ fragte Tina. „Ohne Taschenlampe?“
    „Aber, Tante Tina“, sagte Nicole lachend, „was hätte Tim wohl bei Tageslicht mit einer Taschenlampe machen sollen! Nein, er morste genau wie der Wal, indem er mit den Augen zwinkerte.“
    „Mit einem Auge, Nicole“, berichtigte Tim, „mit dem rechten. Mit dem linken kann ich nämlich gar nicht zwinkern.“
    „Eigenartig“, wunderte sich Nicole, „ich hätte geschworen, daß es das linke war. Na, jedenfalls verstand der Wal dich, obwohl deine Kommas bestimmt nicht alle an der richtigen Stelle saßen.“
    „Was hast du ihm denn zugeblinzelt?“ fragte Jan Tabak.
    „Och, eine ganze Menge“, antwortete Tim. „Zuerst ließ er mich allerdings gar nicht zu Worte kommen. Pausenlos morste er SOS und stellte zwischendrein immer wieder dieselben Fragen. Zum Beispiel:
    Gibt es hier kein Wendebecken? Sind Walfänger in der Nähe? Ist der Fluß überall so tief, daß ich stets zwei Fuß Wasser unterm Kiel habe? Und so weiter.“
    „Du mußt noch erzählen“, warf Nicole ein, „daß er sich große Sorgen um seine Frau machte, die in wenigen Tagen ein Kind zur Welt bringen sollte.“
    „Richtig“, rief Tim, „das war sein besonderes Problem. Er sagte uns, daß er viel gefaßter sein wurde, wenn er nicht eine Familie zu versorgen hätte. Jetzt erwarte seine Frau auch noch Nachwuchs, und sie sei doch nicht mehr die Jüngste und brauche unbedingt seinen Beistand. Kurz und gut, ich unterbrach schließlich seinen Redeschwall und forderte ihn auf, uns zu folgen. Wir fahren mit dem Fahrrad nebenher und zeigen dir den Weg, sagte ich. Auch wenn du uns mal eine Zeitlang nicht sehen kannst, sind wir noch da. Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben. Nur präge dir unbedingt ein, daß du dich bei allen Abzweigungen links halten mußt, backbord, wenn du das besser verstehen solltest. Dann gelangst du todsicher in den Kuhgraben und durch die Schleuse wieder in die Wümme.“

    „Du rietest ihm auch, nicht zu schnell zu schwimmen“, erinnerte Nicole, „damit er sich an dem Gerümpel auf dem Grund des Flusses nicht den Bauch aufschlitzte.“
    „Wie umsichtig von euch“, sagte Jan Tabak. „Eine Verletzung in dem trüben Wasser hätte unweigerlich zu einer Blutvergiftung geführt, und dann wäre sein Kind schon als Halbwaise auf die Welt gekommen. Ihr seid dann vorausgefahren, ja?“
    „Genau“, rief Tim, „und es klappte alles vorzüglich. Nur als der Wal an der Abdeckerei vorbeischwamm, drehte er plötzlich durch. Er machte große Sprünge, schnellte sich herum und achtete nicht mehr auf die Untiefen.“
    „Das Wasser war da besonders schmutzig“, erklärte Nicole, „und er war von Haus aus sicherlich ein sauberes Tier. Wir jagten ihm nach, so schnell wir konnten, und holten ihn kurz vor dem Kuhgraben wieder ein. Er war ganz erschöpft, japste wie ein Zehntausendmeterläufer und schüttelte sich immer noch vor Ekel. Als er sich endlich beruhigt hatte, sagte Tim ihm, er solle sich noch eine halbe Stunde zusammennehmen, dann sei alles überstanden.“
    „Ja“, bestätigte Tim, „und ich erinnerte ihn an seine Frau. Das brachte ihn augenblicklich zur Vernunft. Vorsichtig schwamm er nun weiter, bog auch richtig in den Kuhgraben ein und erreichte wohlbehalten die Schleuse in Kuhsiel. Da jedoch gab es noch ein paar bange Minuten für ihn, weil ein Paddler verrückt spielte und laut um Hilfe rief, als er die Schwanzflosse neben seinem Boot auftauchen sah. Die Leute in den anderen Booten stießen ihre
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