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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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Morgenbesuch.
    Tim sprang aus dem Bett, um ihr die Tür zu öffnen, aber das konnte sie selbst. Wie ein Hausherr, der seine Gäste besucht, so stapfte sie ins Zimmer, scheuerte wohlwollend an Tims Beinen entlang und schaute prüfend in Nicoles Bett. Anscheinend war sie mit dem Zustand des Gemachs und seiner Bewohner zufrieden, denn nun legte sie sich in ganzer Länge quer auf die Schaffelle, so daß ihre Schnauze Tims Bett und ihr Schwanz das von Nicole streiften, und schloß die Augen.
    Tim klopfte ihr den mächtigen Hals, streichelte sie und setzte sich schließlich auf ihren Rücken. Das gefiel ihr ausnehmend gut, gab sie doch dunkle Brummtöne des Wohlbehagens von sich. Da verwandelte sich Tim in einen Indianer, der ein Wildpferd zureitet. Er tobte und sprang auf dem Tier herum, knuffte es hier, zwickte es dort und zerrte es an dem schlotternden Nackenfell.

    „Mensch, Lady“, rief er, „dein Schneider war ja betrunken. Der ganze Anzug ist zu weit. Da passen noch zwei Schäferhunde und ein halbes Dutzend Dackel mit hinein. Ist es dir recht, wenn ich ein paar Falten abnähe?“
    Lady grunzte genüßlich.
    Nun wurde Nicole wach. Kaum überschaute sie die Lage, da schwang sie sich auch auf das Pferd. Sie ritt es im Damen- und Herrensitz, stellte sich auf seinen Rücken wie eine Zirkusreiterin und versuchte sogar einen Kopf stand auf dem geduldigen Riesen.
    Natürlich konnte man das Geschurre und Gepolter im Zimmer darunter, in dem Oma Jenny ihre erste Nacht verbracht hatte, hören, und es hätte die alte Frau bestimmt aus dem Schlaf gerissen, wenn sie nicht längst wach gewesen wäre. Fix und fertig angezogen, war sie bereits damit beschäftigt, dem Zimmer ihre persönliche Note zu geben. Den kleinen Tisch schob sie einen Meter näher an die Wand, den Spiegel hängte sie dahin, wo das Bild vom Bremer Marktplatz um die Jahrhundertwende hing, und das wanderte an den Platz des Spiegels. Das gestickte runde Kissen nahm sie vom Sofa herunter und legte es auf den Fußteil ihres Bettes, und am liebsten hätte sie auch den Schrank von der einen Ecke in die andere gerückt, aber das überstieg ihre Kräfte.
    Als sie das Zimmer dergestalt verändert hatte, begab sie sich in die Küche, um nach dem Frühstück zu fragen.
    Befremdet sah sie sich dort um. Sie hatte ein offenes Herdfeuer erwartet, mit einem rußigen Kessel, der an einer Kette hing. Hier gab es einen modernen Elektroherd mit vier Platten. Auf einen gemauerten Spülstein und einen gestampften Lehmfußboden war sie vorbereitet, aber in Tinas Küche blinkte eine rostfreie Doppelspüle, und der Fußboden strahlte mit allen seinen Kunststoff platten. Sie ahnte nicht, daß die moderne Einrichtung nicht älter war als ein halbes Jahr und Tina es nicht leicht gehabt hatte, ihren Mann von der Notwendigkeit zweckmäßiger Geräte zu überzeugen. Ratlos stand sie da und ärgerte sich darüber, daß sie Tina nun nicht Vorhalten konnte, wie hoffnungslos veraltet die Leute auf dem Lande lebten.
    Als sich nach zehn Minuten immer noch niemand sehen ließ, begann sie selbst mit Macht zu wirtschaften, denn arbeitswütig war sie noch immer.
    Sie setzte einen Kessel mit Wasser auf die Kochplatte, suchte in Schränken und Regalen nach Kaffee und Tee, schnitt mit einem langen Messer das runde Brot an, fischte Butter aus dem Kühlschrank, schimpfte, daß sie viel zu kalt und hart war, ließ das Marmeladenglas fallen, weil sie es mit fettigen Fingern angefaßt hatte, fand keinen Handfeger, mit dem sie die Scherben auffegen konnte, stieß sich beim hastigen Auf richten einen blauen Fleck an der offenstehenden Schranktür, riß einen Turm Teller um und hatte nach zwanzig Minuten ihr Tagespensum an Ärger, Ungeduld und Wut um einiges überschritten.
    Als Tina mit einer Milchkanne hereinkam, saß ihre Tante erschöpft auf dem kunstledernen Sofa und warf ihr böse Blicke entgegen. Tina überschaute die Situation sofort.
    Und da sie die Fähigkeit, Jennys Mienenspiel zu deuten, nicht verloren hatte, wußte sie augenblicklich, was zu tun war.
    „Oma Jenny“, rief sie, „bist du schon mitten in der Arbeit? Aber das will ich doch nicht! Du sollst dich hier nicht abquälen. Das hast du, weiß Gott, lange genug getan. In diesem Haus arbeiten wir, und du machst dir schöne Stunden. Warte, ich werde mal sofort eine Kanne Tee kochen. Ich kenne deine Lieblingsmarke noch und habe sie extra für dich besorgt. Hier steht sie! Na, was sagst du nun?“ Ohne ein Wort der Anklage fegte und wischte sie
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