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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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Jan verärgert. „Guck dir mal den Kanal an. Der ist nicht breiter als acht Meter. Wir fahren so dicht am Ufer entlang, daß du jederzeit aussteigen kannst, auch wenn ich nicht anlege.“
    Auf der Brücke standen Leute und schauten dem Vorgang belustigt zu. Ein junger Bursche rief: „Nun mal rein ins Boot mit dir, Oma! Hier kannst du gar nicht versaufen, das Wasser geht dir ja nur bis knapp an den Bauch!“
    Plumpvertrauliche Ansprachen dieser Art waren Jenny auf den Tod verhaßt. Sie war keine Oma, sondern Frau Jenny Terkorn, auch wenn sie zur alten Generation gehörte. Um nicht noch mehr solcher Unflätigkeiten hören zu müssen, überwand sie sich und stieg vorsichtig in den „Enterich“ hinein. Jan hielt vom Ufer aus das Boot fest, bis sie saß. Dann kletterte er nach und warf den Motor an.
    Die Kinder strahlten. Sie steckten die Hände ins Wasser und beobachteten das Ablegemanöver ihres neuen Pflegevaters.
    Der wendete vorsichtig und fuhr nun in mäßigem Tempo den Weg zurück, den er vorher allein gekommen war.
    Oma Jenny zitterte leicht und hielt sich mit beiden Händen an den Armstützen ihres Sitzes fest. Mit ihrem dunklen Hut auf dem Kopf und in ihrer verkrampften Haltung sah sie aus wie ein Rabe, den eine unabwendbare Gefahr hatte erstarren lassen. Als sie im Gebälk einer der kleinen Fußgängerbrücken, unter denen sie durchfahren mußten, nun auch noch eine fette Ratte gemächlich herumturnen sah, schloß sie entsetzt die Augen und hielt sie so lange zu, bis sie an dem Verhalten ihrer Mitfahrer merkte, daß sich das unappetitliche Tier nicht hatte ins Boot fallen lassen. Mißtrauisch beobachtete sie die Kinder und fand es unbegreiflich, daß denen die Fahrt Spaß zu machen schien. Dann warf sie einen lauernden Blick auf den Steuermann, der entspannt und lässig hinter dem Steuerrad saß, eine große Pfeife rauchte und durch keinerlei Anzeichen zu erkennen gab, daß der Untergang des Schiffes nahe sei. Das beruhigte sie etwas, aber nur etwas; denn natürlich konnte sich auch eine unvorhersehbare Katastrophe ereignen, die selbst einen sturm- und wettererfahrenen Mann wie diesen Jan Tabak da überraschte und in die Tiefe riß.
    Oma Jenny beschloß, wachsam zu bleiben, um eine mögliche Gefahr rechtzeitig zu erkennen.
    Mittlerweile hatten sie fast fünfhundert Meter zurückgelegt und befanden sich nun auf einem Teil des Kanals, wo fast jeder Anlieger ein Boot auf dem Wasser schwimmen hatte und viele kleine Brücken in anmutigen Bögen die Ufer verbanden. Ein so fröhliches Leben herrschte auf den Booten und Stegen, daß Oma Jenny die Furcht vor einem drohenden Untergang allmählich verlor. Sie lockerte den ängstlichen Griff ein wenig und wagte es auch, die krampfhaft angewinkelten Beine auszustrecken. Ja, und nach weiteren zweihundert Metern fand sie sogar ein bißchen Gefallen an dieser beschaulichen Fahrt auf der buntbelebten Wasserstraße.
    Da ereignete sich die Katastrophe.
    Lady stieg zu.
    Bevor Jan sie hinter einem Boot, das zu Wasser gelassen werden sollte, entdeckte und ehe er seine Passagiere darauf vorbereiten konnte, sprang sie mit der Selbstverständlichkeit eines zahlenden Fahrgastes mitten ins Boot, das nur etwa einen Meter von der hölzernen Uferbefestigung entfernt vorbeifuhr.
    Natürlich schwankte das Fahrzeug bei dieser Gewichtszunahme um fiinfundachtzig Kilo beträchtlich. Aber das war nicht das Schlimmste. Schlimmer war, daß Oma Jenny, die nie eine nahe Beziehung zu Tieren gehabt hatte, den unerwarteten Sprung des großen Hundes als einen Angriff mißdeutete, der ihrem Leib und Leben galt.
    Mit einem schrillen Aufschrei schoß sie in die Höhe und einen Sekundenbruchteil später wieder in die Tiefe, allerdings außenbords. Der Rest ihres Todeskreischens vergurgelte in dem braunen Moorwasser des Torfkanals.
    Die Kinder, ebenfalls erschrocken, hielten sich an der Bordwand fest und warfen der Versunkenen einen ängstlichen Blick nach. Jan Tabak stoppte, so rasch es ging.
    Da tauchte Oma Jenny wieder auf, ohne Hut, das nasse Haar hing ihr strähnig ins Gesicht, eine sattgrüne Wasserpflanze hatte sich ihr um die Stirn gewunden, aus ihrem Mund sprudelte dunkles Wasser.
    Sie hatte keine Ähnlichkeit mehr mit einem General. Kaum war sie wieder bei Atem, da brüllte sie laut um Hilfe.
    Natürlich hatte sich Lady, der das Retten menschlichen Lebens wie allen Bernhardinern gewissermaßen im Blut lag, sofort in die trübe Flut gestürzt und Rettungsmaßnahmen eingeleitet. Sie schwamm Oma
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