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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
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Er änderte seinen Kurs: «Wo hast du die Kenntnisse von den Kommandotruppen her? Und den britischen Akzent?»
    «Aus Polen. Ein britischer Major wurde bei uns hinter den Linien abgesetzt, um uns bei der Organisation der Partisanenkämpfer zu helfen. Er hat mir alles beigebracht.» Ben-Isaaks Augen blickten einen Atemzug lang in die Vergangenheit. «Wir hatten nur ein einziges Buch — die englische Bibel. Die habe ich auch auswendig gelernt.»
    Sears war erstaunt. « Dir hat er das beigebracht? Nahmen sie denn damals kleine Kinder in die Kommandotruppen auf?»
    Ben-Isaak erwiderte ohne Bewegung als einfache Feststellung der Tatsachen: «Ich war Partisan zwischen Lodz und Tomaszow und tötete mit dreizehn den ersten Deutschen.»
    «Was wurde aus dem Major? Das muß ein ordentlicher Bursche gewesen sein.»
    «Er wurde gefangengenommen und zu Tode gemartert. Den Mann, der ihn verriet, habe ich umgelegt.»
    Sears dachte: Zäh — wirklich hart. Lieber Gott, und wir hatten gedacht, daß wir den Krieg kennengelernt hätten. Laut fragte er: «Und wie steht’s mit deiner Familie?»
    «Meine Verwandten wurden von den Deutschen abgeschlachtet, weil sie Juden waren; damals war ich elf. Ich konnte in die Berge fliehen, wo ich mich den Partisanen anschloß. Dann kamen die Russen. Ich habe ebenso viele Russen getötet wie Deutsche.»
    «Warum? Die Russen haben die Juden doch nicht gehaßt.»
    Das junge Gesicht wurde alt, und die Zeitlosigkeit kehrte in die kalten Augen zurück, die Sears ansahen. «Sie haben es immer getan und werden es immer tun.»
    Sears spürte, wie es ihn schauderte. So einem Menschen wie diesem war er noch niemals begegnet. Wenn das der neue Jude war, konnte er verstehen, daß diese Leute drei Armeen in Palästina besiegt hatten.
    «Ist niemand von deinen Verwandten übriggeblieben?»
    «Da war noch ein Onkel — ein Bruder meines Vaters...»
    «Wieso: war? Lebt er nicht mehr?»
    «Ich weiß es nicht. Er reiste immer. Er war ein großer Mann.»
    «In welcher Beziehung?»
    In Ben-Isaaks Augen traten Wärme und Stolz. «Er war ein Rabbi, der ein großer Wissenschaftler und Lehrer wurde, ein Archäologe und Historiker meines Volkes. Er hat in allen Gegenden der Welt gelebt. Sein Name ist Doktor Nathanael Levi. Vielleicht hast du von ihm gehört.» Die Jahre fielen von Ben-Isaaks Gesicht ab. Hier war ein Mensch, den er geliebt hatte.
    Sears schüttelte den Kopf. «Wo ist er jetzt?»
    «Ich weiß es nicht. Ich habe gehört, er ist nach Palästina zurückgegangen.» Dann korrigierte er sich mit leidenschaftlichem Stolz: «Nach Israel.»
    «Weiß er vielleicht, warum Methusalem fast tausend Jahre gelebt hat — und die vielen andern?»
    «Er weiß alles !» Das war der Knabe, der so antwortete. Doch der Mann war nie weit entfernt, denn Ben-Isaak setzte nach einer Weile hinzu: «Er kennt Gott.»
    Sears notierte sich im Geist: Viel Gefühl. Könnte eine Goldgrube sein. Am Ende ist er doch gar nicht so hart. Er veränderte seine Prüfungsmethoden: «Woher stammt deine Familie?»
    «Wir sind Polen.»
    «Und vorher?»
    «Spaniolen. Und davor waren wir in Babylonien im Exil. Wir sind sehr alt. Mein Onkel Nathanael sagt, wir stammen vom Stamm Naphtali ab und kommen von den Bergen von Hazor.» Er liebkoste das Wort wie ein lebendes Wesen.
    «Naphtali. Das habe ich in der Bibel gelesen. Wo ist das?»
    «In Israel. Im Norden; es blickt auf Galiläa herab.» Dann zitierte er: «Naphtali gleicht einer freigelassenen Hinde, schöne Worte redet sein Mund.» Einfach setzte er hinzu: «Es ist das schönste Land der Welt.»
    «Bist du denn einmal dort gewesen?»
    Ben-Isaak schüttelte den Kopf. «Nein, aber ich habe gehört, wie mein Onkel über das Land und über unsere Vorväter sprach, die dort lebten.»
    Der Ältere spürte eine Erregung. Es war, als ob das Schicksal, als es seinen Lebensweg an diesem Punkt mit dem dieses seltsamen Jungen zusammenlaufen ließ, sich endlich bereit fand, die Abwege des Joseph Deuell Sears zu glätten. Er empfand die Zuversicht des Spielers, der plötzlich weiß, daß seine Glückssträhne beginnt und sich haltbar erweisen wird. Er sagte: «Eins möchte ich gern wissen, Ben-Isaak, was wünschst du dir am meisten vom Leben?»
    Die Antwort kam mit überraschender Schnelligkeit: «Nach Israel gehen und für das Land kämpfen. Gegen jeden zu kämpfen, der unser Volk haßt...» Er wiederholte das Wort mit furchtbarem Genuß und fuhr fort: «Achtzehnhundert Jahre ist es jetzt her, seit wir die Waffen
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