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Jagd in die Leere

Jagd in die Leere

Titel: Jagd in die Leere
Autoren: K.M. O'Donnell
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Oder nicht?
    Langsam ging sie durch den Schneesturm zurück, auf die U-Bahn zu, schüttelte den Kopf und versuchte, die schiefe Ebene hinabzugehen. Sie stolperte und fiel den halben Weg hinunter. Sie hatte sich den Knöchel leicht verstaucht. Er schwoll merklich an und ließ sie hinken, als sie weiterging und sich wankend auf die Surf Avenue zubewegte. Offenbarungen sind in Stressmomenten wunderbar, dachte sie; sie sind einfach großartig, nichts ist besser als sie. Aber dann gehen die Momente vorbei, und man findet sich in derselben Misere, derselben Qual wieder. Sie überlegte, ob es einen Weg geben mochte, es mit dem Verfolger aufzunehmen. Wenn sie sich ihm nähern konnte und sich ihm verständlich machen, daß das, was sie verband, viel tiefer und bedeutungsvoller war als eine bloße Verfolgung; daß es statt dessen etwas so wichtiges zwischen ihnen gab, daß es den Beginn einer Hoffnung ausmachen konnte – wenn er doch nur versuchen würde, es so zu sehen wie sie.
    Als sie sich halb kriechend die schlüpfrigen Stufen zu den U-Bahn-Schienen hinaufarbeitete, kam sie zu dem Schluß, daß es überhaupt keinen Zweck hatte; der Verfolger würde sich entweder als Schöpfung ihres Unterbewußtseins oder als der Mann, den sie suchte, entpuppen – und in jedem Fall würde er ihr gewalttätig begegnen. Es würde einen Mord geben, Schmerzen; es gab keinen Weg, der daran vorbei führte. Sie hatten alles berechnet und manipuliert. Sie war die Kugel in einem Flipper, auf dem Weg nach unten, auf dem Weg dorthin, wo sie hergekommen war.
    Auf dem leeren Bahnsteig (keine Zuggeräusche unter ihr oder um sie herum) kam ein Mann aus der Dunkelheit und berührte ihren Mantel mit seiner Hand. Sie zitterte und trat instinktiv an die Wand zurück, hob dann den Kopf, um ihn anzusehen. Er war ausdruckslos. (Er hatte keine Gesichtszüge.) Es gab keine Möglichkeit, ihn zu beschreiben, außer daß seine Arme Funken sprühten und er sie tief in die Nische preßte, in die sie zurückgewichen war.
    »Della«, sagte der Mann leise.
    Sie sagte nichts, aber er mußte ihr Zittern gespürt haben, das sich durch die Falten ihres Mantels fortsetz te, denn sein Griff erschlaffte, als er sich vorbeugte und ihr zuflüsterte: »Keine Sorge. Ich werde dir nichts tun. Es gibt nichts, wovor du dich zu fürchten brauchst.«
    »Lassen Sie mich alleine«, sagte sie und erkannte, daß sie die Worte geschrien hatte.
    »Bald, Della. Wir sind nicht zufrieden.«
    »Zufrieden mit was?«
    »Mit deinem Auftritt. Mit dem, was du tust. Mit dem, was los ist.«
    »Was wollen Sie? Ich versuche es ja«, sagte sie. »Was könnt ihr von mir noch verlangen? Ich weiß nicht einmal, wo ich suchen soll. Warum quält ihr mich? Quält ihn. Wie kann ich etwas tun, wenn er dauernd hinter mir her ist.«
    »Er hat sich dazu verpflichtet«, sagte der Mann lei se. »Du nicht. Wir haben Gründe, anzunehmen, daß du in keiner Weise loyal handelst, Della.«
    »Ich weiß nicht einmal, wo ich hingehen soll«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wo ich suchen soll. Wie kann ich zu irgend etwas verpflichtet sein?« Sie fühlte den idiotischen Impuls, in Wut zu geraten.
    »Ihr solltet froh sein, daß ich es noch immer versuche«, sagte sie. »Ich hätte schon längst aussteigen können. Ich hätte mich in jenen Ozean dort hinten stürzen können, dann wäre euer wunderhübsches Spiel zu En de gewesen – ein für allemal.«
    »Er hat das auch nicht getan.«
    »Er hat auch ein Ziel. Er weiß, wen er sucht. Er kann mich sehen, wann immer er will.«
    »Das kannst du auch. Du weigerst dich nur, es zu versuchen.«
    Das Ding, das sie hielt – und es war ein Ding, davon war sie jetzt überzeugt; die Kleidung, nur eine Hülle, die die Konturen verdeckte, ließen es obskur dumm erscheinen, Gott allein mochte wissen, was sich darun ter verbarg –, drängte sie an die Mauer zurück und sagte: »Man hat dir gesagt, daß es nur eine Frage der Einstellung ist. Eine Frage, wie der Punkt zu erreichen ist, an dem du erkennen wirst. Du hast die Sache nicht weiterverfolgt, Della. Wir machen uns Sorgen über das, was nun geschieht.«
    Sie hörte das schwache Rumpeln eines entfernten Zuges, der sich langsam näherte. Weil sie wußte, daß er bald den Bahnsteig erreichen würde, daß Leute (Leute?) darin sein würden und daß sie aufs neue flüchten würde, gab sie ihrer Wut nach. Sie mußte es einfach.
    »Warum macht ihr das nicht selbst?« sagte sie. »Warum braucht ihr uns, um es für euch zu tun? Wa rum braucht ihr
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