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Jagd in die Leere

Jagd in die Leere

Titel: Jagd in die Leere
Autoren: K.M. O'Donnell
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Marionetten?«
    Sie fühlte einen leichten, dann stärker werdenden Druck gegen ihre Kehle und erkannte, daß das Ding sie sanft würgte. Der Druck nahm kaum wahrnehmbar bis zur Schmerzstufe zu, ließ aber dann nach.
    Sie atmete heiser, rang förmlich nach Luft und versuchte, das hinter dem Mantelkragen verborgene Gesicht zu erkennen.
    »Das«, sagte das Ding, »geht dich nichts an. Ich bin nur gekommen, um dich zu warnen, Della. Wir sind mit dir nicht zufrieden. Wir sind nicht darüber erfreut, wie die Dinge sich entwickeln. Der Verfolger macht seine Sache gut. Mehr kann nicht von ihm verlangt werden. Aber du …«
    »Der Verfolger hatte mich vor zehn Minuten auf der Strandpromenade töten können. Statt dessen lief er weg.«
    »Er lief nicht weg. Er ging. Es ist nicht seine Aufgabe, dich zu töten. Er hat nur dafür zu sorgen, daß der Druck bis zu einem gewissen Grad aufrecht erhalten wird. Er ist nur ein Kulissenschieber. Du hingegen bist der Handlungsträger.«
    Der Zug wurde jetzt lauter; vielleicht war er nur noch eine Station entfernt. Sie konnte das Mahlen der Räder hören. Es klang wie berstendes Eis.
    »Was soll ich denn eurer Meinung nach tun?« fragte sie.
    »Ihn suchen.«
    »Wen suchen?«
    »Den Mann, den du retten sollst.«
    »Wo? Wie?«
    »Es ist kein Problem des Ortes, Della«, sagte das Ding. »Es ist eines der Motivation. Ich denke nicht, daß wir geneigt sind, dich noch einmal zu warnen. Dies wird unsere letzte Aussprache sein. Danach wird es keine mehr geben.«
    »Und was dann?«
    »Dann wirst du dich aufmachen und ihn suchen.«
    »Was ist, wenn ich mich weigere? Wenn ich nicht auf zufriedenstellende Weise den Anforderungen entspreche?«
    »Dann wirst du zu dem Ort zurückgehen müssen, von dem man dich geholt hat. Aber diesmal wird es keine Unterhaltungen mehr geben, keine Bücher und keine Turnübungen. Nur Abstraktionen.«
    »Denken Sie, daß mir das jetzt noch etwas ausmachen würde?«
    »In der Tat glaube ich das«, sagte das Ding. »Ich bin der Ansicht, daß dich das sehr hart treffen würde, wirklich. Ich kann mir keine effektivere Drohung vorstellen, wenn du dies hier als Unterhaltung mit drohendem Charakter ansehen willst.«
    Der Zug fuhr jetzt ein. Das Ding entfernte sich von ihr und bewegte sich auf die Treppe zu, noch tiefer in seinen Mantel gehüllt. Sein Gesicht war aus dieser Entfernung und im Schneegestöber nur noch als Eisblock auszumachen. Es war möglich, daß es ihr zugenickt hatte, aber Della war sich nicht sicher. Sie streckte einen Arm aus, um ihm ein Zeichen zu geben, um ihm etwas mitzuteilen. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, die Tatsache klarstellen, daß sie nicht weitermachen würde, daß sie nicht wußte, wen sie suchen sollte, daß sie es nicht länger hinnehmen konnte, aber die Zugtüren schwangen auf, und gefühllos stieg sie in einen der hellerleuchteten Wagen. In dieser Leere, den ganzen Weg zurück zur Stadt, durch die stille, steinerne Hölle, rang sie die Hände und dachte: Sie haben recht, sie haben recht; du bist nicht die Person, die du zu sein glaubst. Du existierst nicht. Du bist bloß eine Abstraktion für ihre Absichten; deshalb existierst du nicht.
    Seltsamerweise beruhigte sie dieser Gedanke, diese Gedanken in Zusammenhang mit dem Schütteln des Waggons – wenn man nicht existierte, gab es wahrscheinlich nichts, was einen unmittelbar anging –, und im Halbschlaf eingelullt, nahm sie auf dem ganzen Weg in die Innenstadt von Manhattan Gedankenbilder wahr, die schnell vorüberhuschten. Formlose Gedankenbilder, Bilder verlorengegangener Zeit.
    Das war prächtig – es war alles sehr vorteilhaft –, aber es änderte nichts an der Grundsituation. Der Verfolger, welche grundlegenden Vorbehalte er auch hatte, war noch immer hinter ihr her. Und sie wußte, zum Teufel noch mal, nicht, was sie tun sollte.
    Mit dem wenigen Geld, das man ihr gegeben hatte, hielt sie sich jetzt in einem der billigen Hotels in der Gegend der Vierzigsten Straße auf und verbrachte die meiste Zeit des Tages damit, ziellos in den Straßen umherzuwandern. Durch Nachrichten, die über Laut sprecher durchgegeben wurden, erfuhr sie, daß es Är ger in der Stadt gab. Attentate waren an der Tagesordnung. Zwei Tage nach ihrem Ausflug nach Coney Island war sie in eine Spielhalle gegangen, wo er sie fast erwischt hatte. Die Rufe durch das Megaphon, die Illusion des Reizes, die durch die Türen zu dringen schien, hatten in Della eine Art kindliche Erwartung hervorgerufen. Sie war nur
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