Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagd in die Leere

Jagd in die Leere

Titel: Jagd in die Leere
Autoren: K.M. O'Donnell
Vom Netzwerk:
plötzlich von der Idee besessen sein ließ, er könne sie aus den Augen verlieren. Ihr Streifzug war vorherbestimmt. Er rannte wieder los und bog gerade noch rechtzeitig um die Ecke, um sehen zu können, wie sie ein Hotel betrat und in der Empfangshalle verschwand. Sie ging nach Hause. Er folgte ihr, spurtete die Treppenstufen hinauf, drei mit einem Schritt nehmend, um keuchend in die Halle zu kommen.
    Sie war nicht da.
    Eine alte Attrappe saß in einer Nische hinter einer Schreibmaschine, eine grüne Sonnenblende auf der Stirn, dünne, knorrige Finger in der Schwebe über den Tasten. Sie gähnte ihn an.
    »Eine Frau«, sagte James, »eine Frau ist gerade hier reingekommen. Wo ist sie hingegangen?«
    »Welche Frau? Keine gesehen.«
    »Die, die vor ungefähr einer Minute reinkam. Sie kam von der Straße aus rein. Ich wüßte gerne ihre Zimmernummer.«
    Die Attrappe schielte ihn an. »Hab keine Frau gesehen«, sagte sie mit einer Spur von Gerissenheit. »Sitz nur hier und tipp das Namensverzeichnis ab, das ist alles. Ich schau nich inner Gegend herum. Werd dafür auch nicht bezahlt.«
    »Komm schon«, sagte James, indem er seine Brieftasche hervorzog und einen Fünfer auf den Schaltertisch vor die Figur, diese Prothese legte. Sie hatten ihm jede Menge Geld gegeben; das war also kein Problem, war nie eins gewesen. »Wo ist sie?«
    Die Prothese steckte einen durchsichtigen Arm aus und schob den Geldschein von sich weg. Sie lächelte ein schlaues, vieldeutiges Lächeln.
    »Nun, du weißt, Sohn«, sagte sie leise, »daß wir dir die Sache nicht erleichtern können. Teufel auch, selbst wenn ich dir sagen würde, wo das Mädchen ist, würde dir das überhaupt nichts nützen. Wenn du sie finden willst, mußt du sie schon selber suchen.«
    Sie faltete den Fünfer fast ehrfurchtsvoll und gab ihn zurück, wobei sie mit der Banknote wedelte. »Du denkst nur noch an sie, Sohn«, sagte sie. »Kann sein, daß du eines Tages einen Tobsuchtsanfall bekommst.« Dann rückte sie ihre Sonnenblende auf der Stirn zu recht und wandte sich wieder der Schreibmaschine zu.
    James ging weg und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er versuchte cool zu bleiben; er versuchte über den Dingen zu stehen. Mit der Zeit wurden die Prothesen recht finster, etwas schien sie zu pikieren. Aber jetzt mußte er die Frau finden. Er dachte an sie. Er konzentrierte sich.
    Er und sie waren aneinander geschmiedet; sie war nur eine Verlängerung seines eigenen Zustandes, sie beide die Erweiterung eines anderen Zustandes. Wenn er sie finden wollte, konnte er das auch, weil es keinen Platz gab, an dem sie sich verstecken konnte, außer in den Gängen seines eigenen Bewußtseins; sie war in ihm enthalten, er deutete sie an, nahm sie vorweg. Sie zu kennen, hieß nur, sich selbst zu kennen: Wenn er sich zuvorkommen und sich selbst verstehen konnte, konnte er Della finden. Die Prothese hatte recht. Sie alle hatten recht. Sie alle hatten überall die Wahrheit gesagt, sogar die Wächter. Und jetzt wußte er alles. Alles.
    Er versuchte seinen Schrecken zu kontrollieren, und nach dem unverzüglichen Übergang wurde er ruhig. Die Frau war auf Zimmer 816.
    Er wußte alles. Es gab keine Fragen mehr. Sie war die letzten sechseinhalb Tage auf Zimmer 816 gewe sen, ihre Miete betrug fünfundzwanzig Dollar die Woche. Darin inbegriffen waren ein Herd und ein kleiner Kühlschrank, der fast leer war, bis auf – ja, das war es – einen halben Laib Brot, zwei Tomaten und eine ungeöffnete Büchse Bier. Das Bett stand an der hinteren Wand, diagonal durch den Raum, an der hinteren Wand, und die Bezüge waren schon dunkel vor Schmutz, weil das Hotel für diesen Preis ihr Bett nicht frisch bezog, und es ihr ohnehin gleichgültig war, weil sie zu oft außerhalb des Zimmers war, um frische Bettbezüge zu benötigen. Des weiteren hatte sie blonde Haare an der Fotze. Die meisten waren dunkelbraun, aber einige waren noch immer blond; sie hatten nie die Färbung verloren, die sie ihrem Schamhaar vor zwan zig Jahren auf die Anregung hin, nur mal zu sehen, wie es aussah, verliehen hatte. Sie hatte es beinahe vergessen, aber er wußte es. Er wußte es, weil sie es wußte.
    Sie hatte auch große Brustwarzen, leicht nach außen gerichtet, aber sie waren ziemlich eindrucksvoll in ihrer Fülle, und es war unmöglich, sie ganz in den Mund zu bekommen, obwohl, weiß Gott, ihr Mann es oft genug versucht hatte.
    Hinter sich glaubte er die Prothese kichern zu hören.
    Er wollte nicht den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher