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Jagd in die Leere

Jagd in die Leere

Titel: Jagd in die Leere
Autoren: K.M. O'Donnell
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Wirklichkeit hatten sie sich kaum mehr als gestreift), hatte sie seine Gesichtszüge genau in Augenschein genommen. Sie hatte in ihnen seine Überzeugung gespürt. Ja, er war in der Lage zu töten. Er war fähig dazu.
    Ihr blieb nur das Weiterrennen übrig. Anfangs hatte sie angenommen, daß es eine Suche werden würde (und ihr Verfolger nur die Triebfeder dazu war), aber es hatte nicht allzulange gedauert (genaugenommen nicht mehr als fünf oder sechs Stunden), bis sie den Betrug und die Lügen erkannt hatte. Der Fragensteller hatte sie die ganze Zeit über angelogen. Dies hier war keine Suche.
    Dies hier war eine Jagd – und sie war das Wild. Ein Mann war hinter ihr her, der sie töten wollte. Die Aufgabe, jemand anderen zu finden und zu retten, war nur der Köder, um die Sache interessant zu machen … für diejenigen, die die Jagd beobachteten. Es gab gar keinen anderen Mann, niemanden, der auf Befreiung wartete. Es gab nur diese fürchterliche Qual, die ohne einmal auszusetzen weiter und weiter ging, jenseits der Möglichkeit auf Hoffnung.
    Während der vergangenen sechs Tage hatte sie keine Minute geschlafen. Zweimal hatte sie in Hotels haltgemacht, um die Chance wahrzunehmen und einige Minuten auszuruhen. Aber beide Male, nachdem sie es sich in den Zimmern bequem gemacht hatte, hatte sie die Angst, der Verfolger käme herein, übermannt, so daß sie sich einzubilden begann, Füße durch den Eingang verschwinden zu sehen und klappernde Absätze auf der Feuerleiter zu hören. Als sie mit geschlossenen Augen dalag, hatte sie die schreckliche Vision, daß er hereinkam, seine Waffe auf sie richtete, sie tötete und dann ihre Leiche schändete. Dieser Schock war so tief, daß sie schweißüberströmt aufgestanden war und auf der Stelle das Hotel verlassen hatte.
    Es war die Sache nicht wert. Es konnte sie einfach nicht wert sein. Nur der Verfolger vermochte den Preis zu zahlen. Er war hinter ihr her – und er würde sie töten.
    Als der dritte Tag zu Ende war und sie die Ausmaße des ganzen üblen Betruges voll erkannt hatte, als sie wußte, daß es keinen Mann gab, den sie retten sollte, hatte sie die U-Bahn hinaus nach Coney Island ge nommen. Die Geräusche der Autos in den Straßen waren in den frühen Morgenstunden noch kaum wahrnehmbar. Die Fenster waren mit Schmutz und Schneematsch bedeckt, und sie konnte nicht sehen, was draußen vor sich ging. Ganz allein in einem Waggon, in sich zusammengekauert, versuchte sie, alle Möglichkeiten durchzuspielen. Sie wußte, daß sie den Mann, den zu finden man ihr aufgetragen hatte, nicht auf Coney Island treffen würde. Sie hätte ihn auch sonst nirgendwo gefunden, einfach weil er nicht existierte.
    (Aber der Fragensteller hatte gesagt: »Das wichtigs te ist, daß du einen Punkt erreichst, eine Stufe des Wissens, in der du in einem gewissen Zustand sein wirst. Nur dann kann die Suche erfolgreich sein.« Sie hatte ihm das sogar geglaubt und war in den Winter hinausgegangen, auf die Insel.)
    Als sie im Schnee stand und auf die Pappsterne blickte, die sich vom schmalen Band des Himmels abhoben, wurde ihr bewußt, daß ihr ziemlich alles egal war. Es konnte ruhig etwas passieren. Von ihr aus so gar etwas Gewaltsames. Etwas, das einen Weg aufzeigte.
    An der Stilwell Avenue stieg sie aus, ging die Treppen hinunter und stieß geradewegs auf eine Berg- und Talbahn. Es begann zu schneien, und ein höllischer Wind blies. Hoch über der See stand Della ganz allein da, vergrub die Hände in ihren Taschen und machte sich auf den Weg nach Osten, auf die Uferpromenade zu, in Richtung des Ozeans. Verbinde Fleisch und Meer, rief etwas in ihr, und finde Ruhe durch diese uralte Vereinigung.
    Oh, das war schon; das war einfach großartig, außer daß es fünf Grad unter Null war und der Schnee ihr die Tränen in die Augen trieb. Je weiter sie sich von der U- Bahn-Station entfernte, desto weniger Sinn schien alles zu haben. Bedeutungslos, bedeutungslos, tönte es in ihrem Innern. Sie kam an einem verlassenen Pferderundlauf vorbei. Das Geschirr hing über einem Felsen, leise im Wind klappernd. Sie ging die schiefe Ebene zur Uferpromenade hinauf, blickte hinaus auf den Ozean und dann nach hinten auf das Festland. Sie bemerkte den Verfolger. Er schien äußerst geduldig; er mußte einige Waggons hinter ihr gesessen haben und achtete nun besonders darauf, die Entfernung zwischen ihnen nicht zu verringern, nachdem sie ausgestiegen waren.
    Er stand, in seinen Mantel gehüllt, in der Nische einer
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