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Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter

Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter

Titel: Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter
Autoren: Jocelynn Drake
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    Wir mussten uns unbedingt stärken.
    Tristans Hunger versengte meine Sinne und durchtoste mich in einer heißen, wütenden Welle, bis ich gegen die unebene Backsteinmauer gepresst wurde, die die Gasse säumte. Meine Fingernägel gruben sich in die Handflächen und hinterließen blutige Halbmonde, während ich mich an die letzten Zügel klammerte, die mich und den jungen Nachtwandler noch im Zaum hielten. Langsam verebbte das überwältigende Verlangen nach Blut, während der Vampir gegen den roten Nebel ankämpfte. Die Welle zog sich zurück und fegte dabei über mein bloßes Fleisch wie ein Bündel Brennnesseln.
    Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und nahm einen beruhigenden Atemzug, um mich langsam wieder in den Griff zu bekommen, bereute das aber auf der Stelle. Die schmale Gasse war von abgestandener, übel riechender Luft erfüllt, durch die sich der Gestank von vergammeltem Fleisch, Schimmel und noch etwas anderem zog, bei dem ich auf ein, zwei verwesende Ratten tippte. Würgend verlor ich die Kontrolle über Tristans Geist, die nächste Hungerwelle schlug über uns beiden zusammen und zwang mich in die Knie. Auf der anderen Seite der heruntergekommenen Gasse glühten Tristans blaue Augen in einem Licht, das nichts mit dem Himmel oder göttlicher Herrlichkeit gemeinsam hatte.
    Seine langen Finger waren zu Klauen gekrümmt, und die Nägel hatten sich in die Mauer in seinem Rücken gegraben, so als versuchte er verzweifelt, nicht das erstbeste Lebewesen anzufallen, das ihm über den Weg lief. Abgesehen von seinem schlanken Körper, war jetzt nur noch wenig Menschliches an ihm. Die schönen Gesichtszüge waren verzerrt und ausgemergelt; ein wilder Haufen Knochen und Muskeln, durchdrungen vom Verlangen nach Blut. Mira.
    Tristans Geist streckte sich aus und berührte den meinen, aber was ich hörte, war nicht die gewohnte sanfte Stimme. Sie war tief, heiser und dunkel verführerisch, passend zum Grollen, das von den zerklüfteten Ruinen meiner Seele widerhallte. Das gleiche Monster lebte auch in mir, verlangte nach Blut und sehnte sich nach dem Gefühl, die Zähne in Fleisch zu graben. Es war das Monster, das mir befahl, in tiefen Zügen zu trinken, bis ich spürte, wie die Seele meiner Beute mir durch die Kehle rann.
    Die Stimme in meinem Hirn verstummte langsam und machte dem Lärmen der Menschenwelt Platz. Mein geliebtes London, das vor Menschen und ihrem donnernden Herzschlag wimmelte. Die Nacht war so jung und frisch wie ein schüchternes Mädchen auf dem Weg zu ihrem ersten Ball. Tristan und ich waren in eine dunkle und zwielichtige Ecke dieser alten Stadt entkommen, die vor Leben übersprudelte und uns mit stetem Pulsschlag zu sich rief.
    Wir mussten uns beide stärken, und zwar dringend. Der Kampf war übel ausgegangen, und am Ende waren Tristan und ich verwundet gewesen und standen nun ohne jenen Stoff da, der unsere Existenz weit über ihr natürliches Ende hinaus verlängerte. Wir brauchten Blut und wussten beide, dass ich allein ihn davon abhielt, seine Beute zu töten, wenn er endlich seine Zähne in sie bohrte. Das würde er nicht mal mit Absicht tun; wir mussten eigentlich nicht töten. Aber es gab jetzt keine moralische Richtschnur mehr, die seine Entscheidungen lenkte. Es gab nur noch die rote Welle der Blutgier und den Überlebensdrang.
    Am anderen Ende des Häuserblocks schlurrte ein Mann mit ergrautem braunem Haar aus der Nacht und blieb an der Ecke stehen. Er hielt sich die Hände vors Gesicht, zündete sich eine Zigarette an und sah sich um, wobei die zerfurchten Gesichtszüge im Licht der Straßenlaterne aufschienen. Als er die Straße hinuntersah, zitterte die Hand mit der Zigarette, sodass die kleine Feuerknospe in der Dunkelheit tanzte.
    Ein tiefes Grollen stieg aus Tristans Kehle, als er seine Beute fixierte. Mit einem Satz sprang ich über die schmale Gasse und schleuderte ihn gegen die Mauer. Der junge Vampir knurrte mich an, die Fänge entblößt und die blauen Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Ich war älter und stärker, aber er brauchte Blut, und nichts würde ihn aufhalten.
    „Warte", befahl ich mit zusammengebissenen Zähnen, während ich ihm die Finger in die muskulösen Arme grub. Seine Kleidung war vom Kampf mit den Naturi früher am Abend zerrissen und blutbefleckt. Meine Gedanken gerieten ins Stocken, als sich der Geruch von Tristans Blut in meiner Nase mit dem der Naturi vermischte und Bilder heraufbeschwor, an die ich mich in diesem Moment lieber nicht
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