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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet
Autoren: Michael Connelly
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Nicht nur in Denver, sondern überall. Er veranlasste jedermann, der davon hörte oder darüber las, zumindest eine Sekunde lang innezuhalten und über die Gewalttätigkeit nachzudenken, die diesen Tod begleitet hatte, über das flaue Gefühl im Bauch, das er verursachte.
    Die meisten Tötungsdelikte sind kleine Morde. So jedenfalls nennen wir sie im Zeitungsgeschäft. Ihre Wirkung auf andere ist beschränkt, ihre Auswirkung auf die Imagination kurzlebig. Sie bekommen ein paar Absätze auf einer der Innenseiten, werden auf die gleiche Art in den Zeitungen vergraben wie die Opfer in der Erde.
    Aber wenn eine hübsche College-Studentin an einem bis dahin friedlichen Ort wie dem Washington Park in zwei Teilen gefunden wird, dann ist für gewöhnlich in der Zeitung gar nicht genügend Platz für all das, was darüber geschrieben wird. Der Mord an Theresa Lofton war kein kleiner Mord. Er war ein Magnet, der Journalisten von überallher anzog. Und so fielen sie in Denver ein, aus Städten wie New York, Chicago und Los Angeles, Reporter von Fernsehsendern, von Massenblättern und von seriösen Zeitungen. Eine Woche lang wohnten sie in den besseren Hotels, durchstreiften die Stadt und den Campus der University of Denver, stellten bedeutungslose Fragen und erhielten bedeutungslose Antworten. Einige von ihnen trieben sich auch in der Umgebung der Kindertagesstätte herum, in der Lofton stundenweise gearbeitet hatte, oder fuhren hinauf nach Butte, wo sie herstammte. Wo immer sie aufkreuzten, erfuhren sie dasselbe - dass Theresa Lofton in die exklusivste aller Medienschablonen hineinpasste: die des typischen amerikanischen Mädchens.
    Der Mord an Theresa Lofton wurde überall mit dem Fall der Schwarzen Dahlie fünfzig Jahre zuvor in Los Angeles verglichen. Damals war ein nicht ganz so typisches amerikanisches Mädchen in der Mitte durchgetrennt auf einem unbebauten Grundstück gefunden worden. Eine reißerisch aufgemachte Fernseh-Show erfand für Theresa Lofton den Namen Weiße Dahlie, weil sie auf einem schneebedeckten Feld in der Nähe des Lake Grasmere in Denver gefunden worden war.
    Und so erhielt sich die Story aus sich selbst. Sie brannte fast zwei Wochen lang so heiß wie ein Feuer in einer Mülltonne. Aber niemand wurde verhaftet, und es gab andere Verbrechen, andere Feuer, an denen die nationalen Medien sich wärmen konnten. Meldungen über den neuesten Stand der Dinge im Fall Lofton wanderten auf die Innenseiten der Zeitungen von Colorado. Sie wurden zu Kurzberichten in der Rubrik Vermischtes. Und schließlich nahm Theresa Lofton nur noch einen Platz unter den kleinen Morden ein. Sie wurde vergraben.
    Die ganze Zeit über blieben die Polizei im Allgemeinen und mein Bruder im Besonderen praktisch stumm und weigerten sich sogar, die Tatsache zu bestätigen, dass das Opfer in zwei Teilen gefunden worden war. Dieses Detail war nur zufällig durch einen Fotografen der Rocky bekannt geworden, der Iggy Gomez hieß. Er war auf der Suche nach Graffiti im Park gewesen, um jene Art von Fotos zu machen, die an einem Tag, an dem sonst nichts los ist, die Seiten füllen. Dabei war er vor allen anderen Journalisten oder Fotografen zufällig auf den Ort des Verbrechens gestoßen. Die Cops hatten den Coroner und die Kriminalbeamten telefonisch informiert, weil sie wussten, dass die Rocky und die Post ihren Funkverkehr abhörten. Gomez machte Aufnahmen von den beiden Tragbahren, die zum Abtransport der zwei Leichensäcke benutzt wurden. Er rief die Lokalredaktion an und sagte, die Cops arbeiteten an einem Doppelmord, und der Größe der Säcke nach zu urteilen handele es sich vermutlich um Kinder.
    Später machte sich ein Polizeireporter der Rocky an einen Informanten im Büro des Coroners heran, und von ihm erfuhr er die grauenhafte Tatsache, dass ein Mordopfer in zwei Teilen in die Leichenhalle gebracht worden war. Die Story, die die Rocky am nächsten Morgen veröffentlichte, war der Sirenengesang für sämtliche Medien überall im Lande.
    Mein Bruder und seine CAP-Mannschaft taten so, als fühlten sie sich nicht im Mindesten verpflichtet, die Öffentlichkeit zu informieren. Jeden Tag gab der Pressesprecher der Polizei von Denver ein paar magere Zeilen als Presseinformation heraus, die besagten, dass die Ermittlungen fortgesetzt würden und es bisher noch keine Verhaftung gegeben hätte. Wenn sie sich in die Enge getrieben fühlten, erklärten die hohen Tiere, der Fall würde schließlich nicht von den Medien ermittelt, obwohl das im
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