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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet
Autoren: Michael Connelly
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funktionierte nie.
    »Was dann? Willst du diese kleine Horrorgeschichte einfach für dich behalten? Ist es das?«
    »Ja. Ungefähr so könnte man es ausdrücken.«
    Ich saß mit verschränkten Armen hinter Wexler und St. Louis. Es war tröstlich. Fast so, als hielte ich mich selbst zusammen. Je länger ich über meinen Bruder nachdachte, desto weniger Sinn machte die ganze Sache. Ich wusste, dass der Lofton-Fall ihm schwer zu schaffen gemacht hatte, aber nicht in dem Maße, dass er sich deshalb das Leben genommen hätte. Nicht Sean.
    »Hat er seine eigene Waffe benutzt?«
    Wexler musterte mich im Rückspiegel. Ich fragte mich, ob er wusste, was zwischen meinen Bruder und mich einen Keil getrieben hatte.
    »Ja.«
    Die Antwort traf mich wie ein Schlag. Es war einfach unvorstellbar. Der Lofton-Fall war mir egal. Was sie sagten, konnte einfach nicht stimmen.
    »Das glaube ich nicht.«
    St. Louis drehte sich um und sah mich an.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Er hätte es nicht getan, das ist alles.«
    »Hören Sie, Jack, er ...«
    »Er hatte die Scheiße, die aus dem Rohr kommt, nicht satt. Er liebte sie. Fragen Sie Riley. Fragen Sie irgendjemanden im ... Wex, Sie haben ihn am besten gekannt, und Sie wissen, dass es Blödsinn ist. Er liebte die Jagd. So hat er es immer genannt. Er hätte sie gegen nichts auf der Welt eingetauscht. Er hätte inzwischen stellvertretender Polizeichef sein können, aber er wollte es nicht. Er wollte im Morddezernat arbeiten. Er blieb bei CAR«
    Wexler antwortete nicht. Wir waren mittlerweile in Boulder und fuhren auf der Baseline in Richtung Cascade. Ich hatte das Gefühl zu fallen.
    »Was ist mit einem Abschiedsbrief?«, sagte ich schließlich. »Was ...«
    »Es gibt einen Abschiedsbrief. Jedenfalls etwas in der Art.«
    Ich bemerkte, dass St. Louis Wexler einen Blick zuwarf, der besagte: Du redest zu viel.
    »Was hat er geschrieben?« Ein langes Schweigen.
    Dann sagte Wexler: »Jenseits von Raum. Jenseits von Zeit.«
    »Jenseits von Raum. Jenseits von Zeit. Sonst nichts?«
    »Sonst nichts. Mehr stand nicht da.«
    Das Lächeln auf Rileys Gesicht dauerte ungefähr drei Sekunden. Dann trat sofort der Ausdruck des Entsetzens an seine Stelle. Das Gehirn ist ein erstaunlicher Computer. Ein sekundenlanger Blick in die drei Gesichter an deiner Tür, und du weißt, dass dein Mann nie mehr nach Hause kommen wird. Damit könnte IBM nicht konkurrieren. Ihr Mund verwandelte sich in ein grauenhaftes schwarzes Loch, aus dem zuerst ein unverständlicher Laut hervorbrach und dann das unvermeidliche, nutzlose Wort: »Nein!«
    »Riley«, versuchte Wexler. »Setzen Sie sich erst einmal hin.«
    »Nein, oh Gott, nein!«
    »Riley...«
    Sie wich von der Tür zurück, bewegte sich wie ein in die Enge getriebenes Tier, zuerst in die eine, dann in die entgegengesetzte Richtung, ganz so, als glaubte sie, etwas ändern zu können, wenn sie uns nur entwischen konnte. Wir folgten ihr ins Wohnzimmer, wo sie mitten auf der Couch zusammenbrach und in einen nahezu katatonischen Zustand fiel. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wexler setzte sich neben sie. Big Dog und ich standen einfach da, stumm wie Feiglinge.
    »Ist er tot?«, fragte sie. Sie kannte die Antwort, wusste aber, dass sie dies noch hinter sich bringen musste.
    Wexler nickte.
    »Wie?«
    Wexler schaute zu Boden und zögerte einen Augenblick. Dann sah er mich an und schließlich wieder Riley.
    »Er hat es selbst getan, Riley. Es tut mir Leid.«
    Sie glaubte es nicht, ebenso wenig wie ich. Aber Wexler erzählte ihr die ganze Geschichte, und nach einer Weile hörte sie auf zu protestieren. Das war der Moment, in dem sie mich zum ersten Mal anschaute, tränenüberströmt. Auf ihrem Gesicht lag ein flehender Ausdruck, als wollte sie mich fragen, ob wir den gleichen Albtraum durchlitten und ob ich nicht etwas dagegen tun konnte. Warum weckte ich sie nicht auf? Konnte ich diesen beiden Typen aus einem Schwarzweißfilm nicht sagen, wie sehr sie sich irrten? Ich setzte mich neben sie und nahm sie in die Arme. Dazu war ich da. Ich hatte diese Szene oft genug gesehen, um zu wissen, was von mir erwartet wurde.
    »Ich werde hier bleiben«, flüsterte ich. »Solange du willst.«
    Sie antwortete nicht, sondern löste sich aus meinen Armen und wandte sich an Wexler.
    »Wo ist es passiert?«
    »In Estes Park. Am See.«
    »Nein, dorthin wäre er nie - was hat er da oben gemacht?«
    »Er hatte einen Anruf bekommen. Jemand sagte, er hätte vielleicht Informationen zu einem seiner Fälle.
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