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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet
Autoren: Michael Connelly
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mich nicht, wartete auf mehr, doch es kam nichts. Ich war leer. Ich dachte an den Rücksitz des Wagens. Für Verdächtige und Gefangene.
    Ich nahm an, dass ich jetzt beides war. Verdächtig als Bruder. Und ein Gefangener meines eigenen Stolzes. Das Urteil würde natürlich lebenslänglich lauten.
    Mit der Erleichterung, die der körperliche Exorzismus mit sich brachte, glitten diese Gedanken rasch hinweg. Ich stieg vorsichtig aus dem Wagen und ging bis an den Rand des Asphalts, auf dem die Lichter vorbeifahrender Wagen im Februarschnee in schillernden Regenbogenfarben reflektiert wurden. Es sah so aus, als hätten wir am Rande einer Viehweide angehalten, aber ich wusste nicht, wo wir waren. Ich hatte nicht darauf geachtet. Ich zog meine Handschuhe aus, nahm die Brille ab und steckte sie in meine Manteltasche. Dann bückte ich mich und grub durch die schmutzige Oberfläche, bis ich an Schnee kam, der weiß und sauber war. Ich nahm zwei Hand voll von dem kalten, sauberen Pulver, drückte es an mein Gesicht und verrieb es, bis meine Haut brannte.
    »Alles okay?«, fragte St. Louis.
    Er war mit dieser dämlichen Frage hinter mich getreten. Sie lag auf der gleichen Ebene wie das Wie fühlen Sie sich ? Ich ignorierte sie.
    »Fahren wir«, sagte ich.
    Wir stiegen wieder ein, und Wexler steuerte den Wagen wortlos zurück auf die Fahrbahn. Ich entdeckte das Schild für die Ausfahrt Broomfield und wusste nun, dass wir ungefähr die Hälfte der Strecke hinter uns hatten. Ich war in Boulder aufgewachsen und hatte die knapp fünfzig Kilometer zwischen Boulder und Denver bestimmt an die tausend Mal zurückgelegt, aber jetzt kam mir die Gegend wie ein Territorium auf dem Mond vor.
    Zum ersten Mal dachte ich an meine Eltern und daran, wie sie auf die Nachricht reagieren würden. Stoisch, vermutete ich. So gingen sie mit allem um. Sie sprachen nie über irgendetwas. Sie machten einfach weiter. So war es bei Sarah gewesen. So würde es nun auch bei Sean sein.
    »Warum hat er es getan?«, fragte ich nach ein paar Minuten.
    Wexler und St. Louis antworteten nicht.
    »Ich bin sein Bruder. Wir sind Zwillinge, verdammt noch mal!«
    »Außerdem sind Sie Journalist«, sagte St. Louis. »Wir haben Sie abgeholt, weil wir möchten, dass jemand von der Familie bei Riley ist. Sie sind der Einzige ...«
    »Mein Bruder hat sich umgebracht!«
    Ich sagte es zu laut, mit einem hysterischen Unterton, von dem ich wusste, dass er bei Cops nie wirkt. Man fängt an zu brüllen, und sie sind imstande, den Laden dichtzumachen, ganz cool zu werden. Ich fuhr mit gedämpfterer Stimme fort: »Ich meine, ich habe ein Recht darauf zu wissen, was passiert ist und warum. Ich habe nicht vor, irgendeinen gottverdammten Artikel zu schreiben. Himmel, ihr Kerle seid ...«
    Ich schüttelte den Kopf und beendete den Satz nicht. Wenn ich es versuchte, würde ich vermutlich wieder die Beherrschung verlieren. Ich schaute aus dem Fenster. Die Lichter von Boulder kamen näher. Erheblich mehr Lichter als in meiner Kindheit.
    » Warum, wissen wir nicht«, sagte Wexler schließlich nach einer halben Minute. »Okay? Alles, was ich sagen kann, ist, dass so etwas vorkommt. Manchmal haben Cops die Scheiße satt. Vielleicht hatte Mac einfach genug davon. Wer weiß? Aber sie versuchen, es herauszubekommen. Und wenn sie es wissen, werde ich es erfahren. Und ich werde es Ihnen sagen. Das ist ein Versprechen.«
    »Wer untersucht den Fall?«
    »Die Parkverwaltung hat es unserer Abteilung übergeben. SIU arbeitet daran.«
    »Wie bitte? Das Dezernat für Sonderermittlungen? Die kümmern sich doch sonst nicht um Selbstmorde von Cops!«
    »Normalerweise nicht. Das tun wir von der Abteilung CAP. Aber es ist so, dass sie uns nicht über einen unserer Leute ermitteln lassen wollen. Interessenkonflikt.«
    CAP, dachte ich. Crimes Against Persons - Verbrechen an Menschen. Mord, Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, Selbstmord. Ich fragte mich, wer in den Berichten als derjenige Mensch benannt werden würde, an dem das Verbrechen begangen worden war. Riley? Ich? Meine Eltern? Mein Bruder?
    »Es war wegen Theresa Lofton, stimmt’s?«, fragte ich. Obwohl es im Grunde keine Frage war. Ich hatte nicht das Gefühl, ihre Bestätigung oder ihr Dementi zu brauchen. Ich sprach nur laut aus, was für mich auf der Hand zu liegen schien.
    »Wir wissen es nicht, Jack«, sagte St. Louis. »Belassen wir’s fürs Erste dabei.«
    Der Tod von Theresa Lofton war die Art von Mord, die Leute aufhorchen ließ.
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