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1035 - Die Totenkammer

1035 - Die Totenkammer

Titel: 1035 - Die Totenkammer
Autoren: Jason Dark
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Meine Worte verklangen. Es wurde für einen Moment still. David Little, der mir den Brief übergeben hatte, ging einige Schritte zurück und ließ sich schwerfällig auf den Besucherstuhl fallen. Dort blieb er sitzen und senkte den Kopf. Wir sahen ihn weinen, wir hörten sein Schluchzen und bekamen das hilflose Zucken seiner Schultern mit.
    Er war am Ende. Die Sorge um seine Tochter hatte ihn aufgefressen. In einen farblosen Staubmantel gehüllt, saß er vor uns. Das graue Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Die Brille war verrutscht. Er mußte sie erst wieder richten, bevor er aufschaute und vor allen Dingen Suko und mich anblickte, denn Sir James hielt sich im Hintergrund. »Sie sind wirklich meine letzte Hoffnung. Ich habe alles versucht, es ist nichts geschehen.«
    »Was heißt alles?« fragte Suko.
    »Mein Gott, was man als Vater tut. Meine Frau liegt in einer Klinik. Sie hat diesen Horror nicht überstanden. Brenda war, nein ist unser einziges Kind. Das hat man uns genommen. Sie ist doch noch so jung. Erst dreiundzwanzig Jahre alt. Wir haben alles für sie getan, uns wirklich die Kosten für ihre Ausbildung vom Munde abgespart, damit sie in Eaton studieren kann. Und jetzt das.« Er schüttelte den Kopf und unterstrich mit dieser Geste noch seine Verzweiflung. »Ich weiß nicht mehr weiter. Brenda hat niemand etwas getan. Wir sind auch nicht reich…«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Mr. Little. Auf eine Erpressung deutet der Brief nicht hin.«
    »Was ist es dann?« rief er nahezu flehend.
    »Das werden wir versuchen, herauszufinden«, sagte ich.
    »Ich hoffe es so sehr.«
    »Können Sie uns sagen, wann Sie Ihre Tochter Brenda zum letztenmal gesehen haben?«
    »Ja, vor knapp zwei Wochen. Da hat sie uns in London besucht. Es ist ja nicht weit.«
    »Und wann erhielten Sie den Brief?«
    »Vor vier Tagen.«
    »Was haben Sie dann getan?« fragte Suko.
    Wir erfuhren, daß sich David Little mit der Polizei in Verbindung gesetzt hatte. Nicht nur mit den Kollegen in Eaton, er hatte auch die Kollegen hier in London eingeschaltet, aber es waren keine Spuren gefunden worden.
    »Nichts«, flüsterte der Mann und griff nach dem Glas mit Wasser, um einen hastigen Schluck zu trinken. »Nichts ist passiert. Es gab keinerlei Spuren.«
    »Und dann kam der Brief«, sagte Suko.
    »Ja.« Little stierte ins Leere. »Dann kam er. Es war für uns der Schock. Für meine Frau noch schlimmer als für mich. Wir wußten uns beide keinen Rat mehr. Niemand kann uns sagen, ob Brenda noch lebt. Ich glaube es bald nicht mehr.«
    Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen und sagte dann:
    »Auch wenn Ihnen meine Frage seltsam vorkommen wird, aber können Sie sich vorstellen, daß jemand Interesse am Tod Ihrer Tochter hat?«
    David Little zuckte zusammen. »An Brendas Tod? Himmel, wie kommen Sie denn darauf? Nein, das ist unmöglich. Sie wollen nach Feinden fragen, nehme ich an.«
    »Im Prinzip schon.«
    »Brenda hatte keine Feinde. Ich weiß, es klingt vermessen, aber ich behaupte, daß sie keine Feinde hatte. Und dabei bleibe ich auch. Sie war ein wunderbares Geschöpf.« Er ballte seine Hände zu Fäusten.
    »So jung, und sie stand dem Leben so positiv gegenüber. Sie wollte etwas werden, und in ihr steckte der richtige Ehrgeiz. Nun ist alles dahin. Träume, die sie und die auch meine Frau und ich einmal hatten, sind einfach zerplatzt.« Littles Stimme sackte ab, und er mußte wieder über seine Augen wischen. Dann putzte er seine Nase.
    Ich fing einen sehr ernsten Blick meines Chefs auf. Es war Sir James gewesen, der uns gerufen hatte. Wenn so etwas eintrat, steckte immer mehr hinter dem Fall als nur ein normaler Mord. Da bahnte sich stets etwas an. Nur hielt Sir James den Mund. Wie ich ihn kannte, wollte er im Beisein des Mannes nicht reden.
    Little ließ das Taschentuch wieder in seiner Manteltasche verschwinden. »Es tut mir leid, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist alles, was ich weiß – leider.«
    Sir James umrundete den Schreibtisch und blieb neben dem Besucher stehen. »Wir brauchen Sie dann auch nicht mehr, Mr. Little. Soll ein Fahrer Sie nach Hause bringen?«
    Der Mann schüttelte den Kopf, bevor er sich wie ein Greis erhob.
    »Nein, das ist nicht nötig, Sir. Ich bin ja auch allein gekommen und werde den Weg wieder zurückfinden.« Er versuchte, uns drei anzuschauen, was ihm schlecht gelang. »Bitte«, sagte er dann mit leiser Stimme. »Bitte, ich möchte meine Tochter noch einmal sehen. Egal, wie. Sie werden
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